Bonner Querschnitte 05/2007 Ausgabe 34

Zurück

Autopsieberichte der Opfer von Malatya noch nicht veröffentlicht

Zahlen über Messerstiche zweifelhaft

(Bonn, 04.05.2007) Die zuständige Staatsanwaltschaft für die Morde von Malatya hat die Autopsieberichte der Opfer bislang noch nicht freigegeben. Berichte in der türkischen Presse, die den Eindruck erweckten, sie hätten die Berichte vorliegen, sind deshalb in den letzten Tagen immer wieder kritisch hinterfragt worden.

Nach Angaben aus dem unmittelbaren Umfeld von Susanne Geske habe sie den Bericht ihres Mannes im Beisein ihres Anwalts vor Gericht einsehen dürfen. Sie machte daraufhin gegenüber Freunden deutlich, dass die sich bislang in den Medien im Umlauf befindlichen Zahlen von 156 Stichwunden in Bezug auf Tilmann Geske definitiv nicht zuträfen, sondern der Bericht von 15 bis 16 Stichen spreche. Dass sie lediglich einen geschönten Bericht zu sehen bekommen habe, wird bislang ausgeschlossen, vor allem aufgrund eines aktuellen Reports von Ahmet Guvener, Pastor der protestantischen Gemeinde in Diyarbakir.

Guvener schreibt in einem Brief vom 30. April, dass er, als er Tilmann Geskes Leichnam für die Beerdigung aus dem Leichenschauhaus abholen wollte, die Gelegenheit gehabt habe, den Oberkörper des Ermordeten zu sehen. „Ich sah keine Messerstiche. Nur Tilmanns Hals hatte einen Schnitt von 8-10 Zentimetern“, schreibt er. Berichte, nach denen den Opfern Schnitte an Nase, Lippen oder Ohren zugefügt worden seien, bezeichnete er als „Gerüchte“, die „nicht die Wahrheit wiedergeben“. Ein weiterer Gläubiger, Ed Grudier (Adana), habe die Gelegenheit gehabt, Tilmann Geskes Körper zu sehen. Er wird in dem Brief mit den Worten zitiert, dass er am Oberkörper drei bis vier Verletzungen durch Messereinwirkung gesehen habe. Als dritter Zeuge wird Pastor Ihsan Özbek (Ankara) genannt, der die Oberkörper von T. Geske und N. Aydin habe sehen können, dabei aber auch keine Stichwunden habe feststellen können. Dass Grudier im Gegensatz zu Guvener und Özbek einige Messerwunden bezeugt, führt Guvener darauf zurück, dass er möglicherweise sorgfältiger geschaut habe als die beiden anderen. Den Leichnam von Ugur Yüksel habe niemand der Christen sehen können, da ihn dessen Familie bereits noch in der Nacht nach dem Tod für die Beerdigung abgeholt habe. Guvener schreibt aber deutlich, dass er den sich im Umlauf befindlichen detaillierten exzessiven Schilderungen der Folter von Yüksel keinen Glauben schenken könne, da er seines Erachtens damit unmöglich noch bis etwa 17:30 Uhr hätte überleben können. Für Guvener ergibt sich folgende Schlussfolgerung: „Ja, diese Brüder wurden gefoltert, aber nicht in dem beschriebenen Umfang.“ Dieser Report wird von den leitenden Pastoren Ihsan Özbek und Zekai Tanyar (Izmir) sowie von Ed Grudier als korrekt und hilfreich bezeichnet, um „unfundierte Übertreibungen“ zu „korrigieren“.

Die Familie von Necati Aydin hatte nach eigenen Angaben bislang noch keine Möglichkeit, den entsprechenden Autopsiebericht einzusehen, geht aber davon aus, dass auch hier die bislang gemeldeten Zahlen der Messerstiche nach unten zu korrigieren seien, da man den Bericht von Ahmet Guvener als vertrauenswürdig ansehe.

Auch wenn es eine Reihe von sehr spezifischen Details gibt, die die türkischen Medien berichtet haben, die deren Angaben zufolge aus den Verhören der Täter stammen sollen, bislang nicht veröffentlicht wurden, aber nach Aussagen damit unmittelbar in Verbindung stehender Personen korrekt sind, lässt sich die Frage nach der Herkunft der in der Presse als Autopsieberichte wiedergegebenen Information derzeit nicht klären.

Aufgrund all dieser Daten muss die auch von „Bonner Querschnitte“ „türkischen Presseberichten zufolge“ gemeldete Zahl von „bis zu 156 Messerstichen“ (BQ 33a) wohl insgesamt revidiert werden. Dass türkische Zeitungen diese Zahlen tatsächlich so gemeldet haben, ist unstrittig, dass sie den tatsächlichen Fakten entsprechen, ist mittlerweile ernsthaft zu bezweifeln. Letzte Sicherheit – sowohl bezüglich der Zahlen als auch bezüglich der Details der Folterung – können allerdings, wenn überhaupt, nur die noch zu veröffentlichenden Autopsieberichte geben. Der aufgrund eigener Recherchen in BQ 33a skizzierte Ablauf der Ereignisse in Malatya hat sich insgesamt aber bestätigt.

Die Korrektur und Zurückweisung „unfundierter Übertreibungen“ durch leitende türkische Pastoren durch den Bericht von Pastor Guvener (Download siehe unten) bezieht sich nicht zuletzt auf den mittlerweile auch in deutscher Übersetzung per eMail kursierenden „letter to the Global Church from The Protestant Church of Smyrna“*. Die Herausgeber der „Bonner Querschnitte“ schließen sich dieser Kritik ausdrücklich an, haben sie doch bereits unmittelbar nach Erhalt dieses Briefes vor über einer Woche in vielen persönlichen Gesprächen und eMails deren Ablehnung deutlich gemacht.

 

* Nachtrag vom 10.05.2007: die nachfolgende Kritik bezieht sich auf die erste Fassung dieses Briefes vom 24.04.2007. In Deutschland ist v.a. diese Version per eMail verbreitet worden. Bonner Querschnitte selbst ist ausschließlich diese Fassung per eMail zugegangen.

 

Downloads:

  • Bericht von Ahmet Guvener (Initiates file downloadpdf)