Bonner Querschnitte 3/2006 Ausgabe 18

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40 Jahre im Dienst an seinem mexikanischen Volk

Zum 70. Geburtstag von Josue Lopez

(Bonn, 22. März 2006) Im September ist es in La Victoria in Zentralmexiko noch ziemlich heiß. Doch das macht Josue Lopez nicht viel aus. Im Gegenteil: Wenn es richtig warm ist, fühlt sich der 70jährige erst wirklich wohl. Auch mit Sonnenbrand hat er keine Probleme: „Wenn die Sonne glüht, werde ich fast so dunkel wie ein Afrikaner“, scherzt er.

La Victoria ist ein armes Dorf, das wohl in Europa kaum jemand kennt. Doch in dieser Gegend ist die ursprüngliche Heimat von Josue, in die er vor einiger Zeit zurückgekehrt ist, um dort Entwicklungshilfearbeit zu leisten. Und was bislang entstanden ist, kann sich sehen lassen. Besonders stolz sind er und seine Mitarbeiter auf den nagelneuen Traktor, der mit Hilfe von Gebende Hände aus Deutschland angeschafft werden konnte.

Der Traktor dient vor allem zur Unterstützung der lokalen Landwirte und der relativ jungen Besenfabrik. Denn Arbeit gibt es in dieser Gegend kaum. Aber durch die kleine Fabrik konnten bislang fünf Leute angestellt werden, die mit den für diese Gegend überdurchschnittlichen Löhnen ihre Familien gut ernähren können. Sonst gibt es nur ein paar Baumwollfelder, auf denen aber kaum noch etwas zu verdienen ist, und eine Fabrik eines amerikanischen Hosenproduzenten, die etwa drei Fußwegstunden entfernt liegt. Das Engagement für dieses fast vergessene Dorf ist eigentlich nur aus der Lebensgeschichte von Josue erklärbar.

Dabei ist die Biographie von Josue Lopez alles andere als geradlinig. Als Kind muss er schon zeitig lernen, auf sich selbst Acht zu geben. Der Vater ist meistens nicht da. So muss er bald sein Leben selbst in die Hand nehmen. Im wahrsten Sinn des Wortes muss er sich durchboxen, was zunächst auch sein Beruf wird. Für zwei Jahre verdient er sein Geld mit dieser Sportart – sowohl als Boxer als auch als Trainer. Und dabei ist er durchaus erfolgreich.

Dann arbeitet er als Techniker bei einer Firma, die Butangas vertreibt, wird Mitglied in der Gewerkschaft. Er steigt bis zum Schatzmeister auf, könnte Karriere machen. Er heiratet und bekommt mit seiner Frau vier Kinder. In so gut wie allen Bereichen scheint er Erfolg zu haben. Doch zufrieden wird er dadurch nicht. Immer wieder ist er auf der Suche nach Sinn und Wahrheit im Leben.

Schließlich lernt er evangelische Christen kennen, über die er zum Glauben an Jesus Christus kommt. Trotzdem brennt in ihm eine Frage, die er den Pastoren, die er im Laufe der Zeit trifft, immer wieder stellt: „Was tust du, damit die Menschen die Liebe von Jesus Christus nicht nur gelehrt bekommen, sondern auch sehen und erleben können?“ Er kann sich keinen christlichen Glauben vorstellen, der nicht auch praktisch und sichtbar wird.

Für seine Frau aber ist der evangelische Glaube zu viel. Im stark katholisch geprägten Mexiko sind evangelische Christen nicht sehr hoch angesehen, sie werden vielmehr als Sektierer betrachtet. Seine Frau kann diesen Weg nicht mitgehen und lässt sich auf Druck ihrer Familie scheiden. Für seine Kinder muss er nun allein sorgen.

In der Zwischenzeit wohnt er in Juarez, einer Stadt, die mittlerweile über zwei Millionen Einwohner hat und direkt gegenüber El Paso an der Grenze zu den USA liegt. Seine Mutter zieht zu ihm, damit die Kinder versorgt sind. In Juarez besucht er die evangelische Freikirche der Heilsarmee. Dort wird er schließlich Leiter der Sonntagsschule. Beruflich ist er für die Verwaltung eines staatlichen Krankenhauses zuständig.

In der Grenzstadt Juarez lernt er enormes Leid unter Kindern kennen: Viele Mütter werden mit ihren Kindern allein gelassen, weil ihre Männer illegal in die USA gehen, um dort zu arbeiten. Die Mütter müssen ihrerseits arbeiten, um zu überleben, und die Kinder bleiben sich selbst überlassen. Das lässt ihn nicht los. Eigentlich hatte er vor, eine Gemeinde zu gründen. „Doch die Not war so groß, dass wir uns erst darum kümmern mussten“, resümiert er heute. In den Gemeinden sei dafür noch kein Blick gewesen. Doch nun muss er sich zwischen der Karriere in der Krankenhausverwaltung und der Arbeit für die Kinder und Ärmsten der Armen entscheiden.

Schritt um Schritt baut er mit Mitarbeitern das Kinderheim „Emmanuel“ auf. Erst ein Haus, dann ein weiteres, dann eine Schule. Zehn Jahre wächst das Werk. In der Zwischenzeit heiratet er zum zweiten Mal: seine jetzige Frau Solidad.
Ein enger und wichtiger Mitarbeiter, der hauptverantwortlich für die Spendenbeschaffung in den USA war, verlässt sie im Jahre 1972. Die wichtigste Einnahmequelle ist mit einem Mal versiegt. 180 Kinder sind zu versorgen, der Gerichtsvollzieher ist Dauergast. Er ist versucht zu resignieren und in den Süden Mexikos gehen. Dort gibt es Land von der Regierung. Er könnte Landwirt werden. Bis auf 25 Kinder haben schon alle das Heim verlassen müssen. Zwei Jahre lang leben sie mit diesen Problemen. Josue heute: „Das war für uns die Wanderung durch die Wüste.“

Während dieser Zeit muss er lernen, um Spenden zu bitten und sich auf Englisch zu verständigen. Doch plötzlich kommt Unterstützung von Christen aus Phoenix in den USA. Es gelingt, die Krise zu überwinden. „Gelernt haben wir aus dieser Zeit auch“, betont er heute. So habe er sich eine Gruppe von Beratern und Supervisoren gesucht, die ihn immer wieder kritisch hinterfragten. „Das war nötig, um Probleme rechtzeitig erkennen zu können.“ Seit dieser Zeit wächst die Arbeit stetig. Die Vision ist die gleiche geblieben: Menschen sollen die Liebe von Jesus Christus ganz praktisch erleben können. „Und Gott will es offenbar so, dass er uns meistens, wenn wir Segensworte aussprechen, selbst dazu gebraucht, diesen Segen auch auszuführen.“

Zu Kinderheim und Schule ist mittlerweile eine modern ausgestattete Klinik hinzugekommen, in der sogar endoskopische Eingriffe vorgenommen werden können, für die die Leute sonst erst in die weit entfernte Stadt Mexiko fliegen müssten. Die Kinder aus dem Kinderheim, aber auch die armen Leute aus der Umgebung werden dort kostenlos behandelt.

Die Zukunft von „Emmanuel“ weiß Josue in guten Händen: Der jüngste Sohn hat die Gesamtleitung übernommen, das älteste Sohn ist Chefarzt der Klinik, eine Tochter ist die Leiterin des Waisenhauses, und die andere praktiziert als Zahnärztin in der Klinik.

Die Gebäude müssen zum Teil dringend saniert und vor allem erweitert werden. Doch diese Herausforderung überlässt Josue seinen Kindern. Er sieht jetzt seine Hauptaufgabe im Süden, in der alten Heimat. Dort lehrt er die Menschen, dass sie nicht warten sollen, bis irgendwas geschieht, was ihre Lebensumstände verbessert. Vielmehr vermittelt er ihnen, dass sie sich mit Gottes Hilfe selbst aufmachen und mit Kreativität und Fleiß ihr Leben verändern sollen. Als Vorbild dient unter anderem die Besenfabrik.

„La Victoria ist nicht mehr derselbe Ort wie noch vor ein paar Jahren,“ sagt Josue, „und doch gibt es hier noch viel zu tun.“ Trotz seines Alters will er dabei weiterhin kräftig mitwirken.

Die in Bonn ansässige Hilfsorganisation Gebende Hände (Opens external link in new windowwww.gebende-haende.de) unterstützt seit Jahren sowohl die Arbeit des Kinderheims Emmanuel wie auch das Entwicklungshilfeprojekt in La Victoria.

Bei Fragen zu diesem konkreten Projekt wie auch bei allgemeinen Fragen zu Gebende Hände erteilt Geschäftsleiter Pfr. Horst-Jürgen Kreie auch telefonisch unter (02 28) 69 55 31 gern Auskunft.

Thomas Josiger

Dokumente

BQ0018_01.pdf