Bonner Querschnitte 56/2015 Ausgabe 392

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Religionsfreiheitsexperte fordert Erfassung der Straftaten gegen alle Religionen, nicht nur gegen den Islam

(Bonn, 11.12.2015) Der Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit, Thomas Schirrmacher, hat angesichts von Presseberichten, nach denen diskutiert wird, in der statistischen Erfassung der Hasskriminalität in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) einen Unterpunkt von Straftaten gegen den Islam zu schaffen, die Frage gestellt, warum dann nicht alle Religionen, zumal auch das Christentum, erfasst werden sollen. Angesichts zunehmender Gewalt gegen kirchliche Gebäude und Veranstaltungen und der Bedrohung orientalischer Kirchen und Christen in Deutschland, sei das nur konsequent.

Bild: Antichristliche Schmiererei an der Universität Marburg.

 

Wir dokumentieren im folgenden die Stellungnahme von Thomas Schirrmacher:

Anti-islamische Straftaten sollen in der Polizeilichen Kriminalstatistik neu erfasst werden – warum nicht auch anti-christliche?

Stellungnahme des Direktors des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit, Thomas Schirrmacher

Nach Medienberichten [z. B. Opens external link in new windowwww.welt.de oder Opens external link in new windowwww.zeit.de] setzt sich eine breite Phalanx von der Partei Die Linke, über die Gewerkschaft der Polizei, den Koordinierungsrat der Muslime und das – hier nicht zuständige – Bundesinnenministerium dafür ein, dass die Innenministerkonferenz der Bundesländer beschließen möge, dass in der statistischen Erfassung der Hasskriminalität in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ein Unterpunkt von Straftaten gegen den Islam einführt wird, da derzeit kein zahlenmäßiger Überblick zu gewinnen ist, wie oft Muslime wegen ihrer Religionszugehörigkeit und muslimische Einrichtungen Gegenstand von Angriffen sind.

Erfassung konkreter Verletzungen von Religionsfreiheit ist immer gut! Ich möchte aber fragen, warum nun neben den jüdischen nur muslimische Fälle zusätzlich erfasst werden sollen, warum nicht die aller Religionen und auch des Christentums?

Es ist doch an der Zeit, die Angriffe auf Kirchengebäude und die eindeutig gegen christliche Veranstaltungen, Personen oder Inhalte gerichteten Straftaten ebenso zu erfassen.

Oder muss die Mehrheitsreligion nicht mehr gleichermaßen geschützt werden? Und wenn man schon die Mehrheitsreligion übergehen will, was ist dann mit koptischen Kirchen, syrisch-orthodoxen Kirchen oder freikirchlichen Gebäuden, die allesamt religiöse Minderheiten repräsentieren?

Warum erfasst man dann nicht auch systematisch Übergriffe gegen Christen etwa in Flüchtlingsheimen, wo man doch Übergriffe gegen Muslime ebenda erfassen will?

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft, Jörg Radek, stellt fest, dass die Erfassung antimuslimischer Delikte für die Polizei nur einen geringen Mehraufwand darstelle. „Wenn man antisemitische Straftaten erfasst, sollten auch antimuslimische Straftaten gezählt werden“, zitiert ihn die WELT. So logisch das klingt, so unlogisch ist, dass er dann nicht ebenso das Christentum und andere Religionen nennt. Gibt es denn nur Juden und Muslime in Deutschland? Und gibt es nur Straftaten gegen diese beiden Religionen? Wird hier nicht mit zweierlei Maß gemessen?

Man verstehe mich nicht falsch. Ich bin dafür, dass antijüdische und antimuslimische Straftaten usw. erfasst werden, ich will nur, dass die anti-christlichen ebenso erfasst werden.

Im Falle der Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europe (OSZE) findet sich ein typisches Beispiel. Lange Zeit wurde europaweit nur die Diskriminierung von Juden erfasst, diskutiert und bekämpft. Lange später folgten die Muslime und ihre Diskriminierung. Alles richtig und nötig. Aber erst nach vielerlei Eingaben, Protestenten und Druck konnte man sich in jüngster Zeit durchringen, auch die Diskriminierung von „Christen und andere Religionen“ (so der Name der zuständigen Abteilung und Berichterstattung) zu erfassen und zu kritisieren. Und eben nicht zufällig wurde das Christentum nicht wie Islam und Judentum eigenständig erfasst, sondern mit allen anderen Religionen zusammengenommen. Warum erfasst man alle „anderen“ Religionen denn nicht unter dem Judentum oder dem Islam, was ebenso unsinnig wäre?

Im Europarat und im Europäischem Parlament war die Entwicklung ähnlich: Schon lange erfasst und bekämpft man den Antisemitismus, viel später kamen Übergriffe gegen Muslime dazu, aber erst in jüngster Zeit wird auch thematisiert, dass es Übergriffe gegen Christen gibt, offiziell erfasst wird es immer noch nicht.

Ist denn das Beschmieren einer Kirche weniger schlimm als das Beschmieren einer Moschee? Ist die Schändung eines christlichen Grabes weniger schlimm als die Schändung eines jüdischen Grabes? Ist Brandstiftung eines religiösen Gebäudes jeweils anders zu werten, je nachdem welche Religion sie trifft?

Nicht jeder Kirchendiebstahl ist gegen das Christentum gerichtet, aber das ist ja bei Moscheen nicht anders. Nicht jede Schmiererei ist automatisch antireligiös, wenn der Text der Schmiererei das nicht nahelegt. Aber wenn die Statistik grundsätzlich antireligiöse Straftaten erfasst, muss das nach gleichen Standards für alle Religionen geschehen. Kirchen brauchen in Deutschland zunehmend Überwachungsdienste, Wachdienste oder bleiben gleich ganz geschlossen.

Zur Religionsfreiheit gehört auch, dass Religionen gleichbehandelt werden. Dazu gehört doch auch gerade, dass Gewalt gegen die Religionsfreiheit in der Breite erfasst wird, nicht nur für einzelne Religionen. Immer wieder ist zu hören, das Christentum würde in Deutschland oder Europa anderen Religionen vorgezogen. Mit der einseitigen zusätzlichen Erfassung von Straftaten gegen Muslime wird das Christentum eindeutig benachteiligt.

Besonderen Schutz erfordern auch orientalische Kirchen und Christen, die über Jahrzehnte, aber auch sehr aktuell bei uns eingewandert sind und einwandern, um Schutz vor der Verletzung und Einschränkung ihrer Religionsfreiheit zu finden. Dies gilt ebenso für Asylsuchende und Migranten, die in Deutschland zum Christentum konvertiert sind, weil dies hier im Rahmen unserer Religionsfreiheit möglich ist, und leider oft des Schutzes vor ihren Verwandten und Nachbarn ihrer Ursprungsreligion bedürfen.

 

Downloads und Links:

·         Initiates file downloadFoto: Antichristliche Schmiererei an der Universität Marburg

·         Artikel zum Foto: Opens external link in new windowhttp://www.thomasschirrmacher.info/archives/1081

Dokumente

BQ0392.pdf