Bonner Querschnitte 06/2011 Ausgabe 160

Zurück

Instituts für Lebens- und Familienwissenschaften veröffentlicht Band zur Schweizer Diskussion zur organisierten Suizidhilfe

Interview mit dem Autor Peter Rosenstock

(Bonn, 08.03.2011) Das Institut für Lebens- und Familienwissenschaft hat sich mit dem sechsten Band seiner Schriftenreihe in die Schweizer Diskussion um Suizidhilfe eingeschaltet. Der Männedorfer Jurist Dr. Peter Rosenstock möchte mit seinem Buch «Was heisst Freiheit?» in der Schweiz dringend notwendige ethisch-philosophische und juristisch-politische Debatte anstoßen. Dabei hat sich die für eine Beurteilung der Ziele und Ansprüche der organisierten Suizidhilfe sowie ihrer Legitimation zentrale Frage ergeben, von welchem Freiheitsverständnis aus die Auseinandersetzung mit dieser modernen Erscheinung geführt werden soll. Das Buch mündet in den Vorschlag, auf die radikale Freiheit zu setzen, wie sie der an der Universität Zürich lehrende Theologe Arthur Rich (1910–1992) für einen menschengerechten Umgang mit Freiheit und Bindung im Rechtsstaat entworfen hat, statt auf den mit der vorherrschenden Emanzipationseuphorie verbundenen Freiheitsbegriff der Selbstbestimmung über Leben und Tod als Kriterium für einen sorgsamen Umgang mit Sterbewilligen abzustellen.

Aus diesem Anlass führte Bettina Bernet-Hug folgendes Interview mit dem Autor.

Der erste Absatz ist eine eigene Meldung, die Sie unabhängig vom Interview abdrucken können. Wir bieten ihnen aber den gesamten Beitrag, falls Sie mehr Platz zum Abdruck haben oder eine eigene Meldung verfassen wollen.

 

Sterbe-, respektive Suizidhilfe: Wie kommen Sie auf dieses Thema?

Das wurde mir nicht in die berufliche Wiege gelegt. Ich habe mich aber immer mit rechtsphilosophischen Fragen beschäftigt. Es interessiert mich heute mehr als mein eigentliches Spezialgebiet, das Baurecht, wenn ich ehrlich bin. Seit meiner Pensionierung habe ich auch mehr Zeit dazu. Ich habe festgestellt, dass in der Öffentlichkeit eine gewisse Scheu besteht, sich diesem Thema anzunähern und ein Urteil darüber zu fällen. Ich habe nirgendwo eine tiefere Antwort dazu gefunden.

Ist das nicht eher ein Thema für Theologen?

Es hat sich gezeigt, dass es schwierig ist für Ethiker und Theologen, ohne juristische Kenntnisse richtig zu reagieren. Es ist schwer, zu konkreten Antworten zu kommen, wie sie ein Gesetzgeber geben muss, um solche Fragen zu regeln. Die Rechtslage auf diesem Gebiet ist desolat, die politische Auseinandersetzung fehlt. Das Thema muss zum Gegenstand des politischen Diskurses werden. Im Parlament wurden bislang keine materiellen Diskussionen darüber geführt. Mit der Eröffnung der Vernehmlassung zu den bundesrätlichen Vorschlägen zur Revision von Art. 115 StGB ist der Zeitpunkt da, um die notwendige Debatte zu führen.

Aber das Thema wird doch sehr kontrovers diskutiert. Woher rührt die ganze Aufregung?

Das kommt daher, dass die Rechtslage mit Bezug auf die organisierte Suizidhilfe desolat ist. Der Artikel 115 des Strafgesetzbuches wurde 1937 verfasst, 1942 ist er in Kraft getreten, wurde aber für etwas anderes konzipiert, als für das, was man daraus gemacht hat. Es ist eine Regelung für die private, persönliche Sterbe- oder Suizidhilfe durch nahe Bekannte oder Verwandte als uneigennütziger Freundschaftsdienst. In diesem Fall soll die Handlung straffrei sein. Grundsätzlich war ein assistierter Suizid nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers aber strafbar. Ich sehe darin keine liberale Haltung, wie sie heute dem Gesetz oft untergeschoben wird. Dieser Regelung kann schon aus historischen Gründen keine zuverlässige normative Aussage über die Zulässigkeit der organisierten Suizidhilfe entnommen werden. Bis heute ist dieser Artikel substantiell unverändert geblieben. Von Anfang an nach der Gründung von Exit (1982) und Dignitas (1998) wurde die organisierte Sterbehilfe nach deren Selbstverständnis nicht als selbstsüchtig bezeichnet und daher strafrechtlich nicht verfolgt. Die Ausdehnung der Straffreiheit auf die organisierte Suizidhilfe erfolgte sozusagen durch die Hintertür. Sie wurde bislang kaum hinterfragt.

Braucht die Schweiz denn eine gesetzliche Regelung für die organisierte Sterbehilfe?

Ja, und zwar eine, die über das auf die private Suizidhilfe ausgerichtete Konzept der alten Bestimmung hinausgeht. Der Artikel 115 hat eine zwiespältige Grundlage, es besteht Reformbedarf auf diesem Gebiet. Ungeklärt ist zum Beispiel auch die Verwendung des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital (NaP)für den Suizid. Es ist bis heute nicht klar, ob dieses Medikament abgegeben werden darf, wenn man weiss, dass es nachher für einen Suizid verwendet wird. Exit selber ist daran interessiert, die Frage gesetzlich zu regeln.

Soll der Staat nicht einfach die Finger von diesem – doch sehr privaten Bereich lassen?

Das ist ein grosses Dilemma. Mit meinem Buch will ich genau dies ansprechen: Ist das organisierte Sterben denn wirklich eine private Angelegenheit? Ich finde, es ist nicht mehr so privat, wenn man sich zum Beispiel überlegt, ob NaP überhaupt freigegeben werden soll. Das bedingt eine Entscheidung des Gesetzgebers. Der unter Einbezug von Organisationen geplante Tod ist vielmehr Ausgangspunkt für eine Bürokratisierung des Sterbens.

Besteht nicht die Gefahr, dass der Staat wertes von unwertem Leben trennt, wenn er ein Gesetz bezüglich der Suizidhilfe erlässt?

Das darf auf keinen Fall passieren. Es liegen zwei Varianten vor, die der Bundesrat in die Vernehmlassung geschickt hat: Die eine formuliert strenge Sorgfaltspflichten, welche von den Suizidhilfe-Organisationen eingehalten werden müssen. Die andere ist ein Verbot der organisierten Suizidhilfe. Das Wichtigste aus meiner Sicht ist die Entscheidung, ob in einen bestehenden Sterbeprozess eingegriffen wird oder auf diese elementare Schranke verzichtet werden soll. Die gesetzliche Regelung sollte sich auf die Sterbehilfe beschränken und nicht einer unbegrenzten Suizidhilfe das Tor öffnen.

Was sagen Sie zur Vereinbarung der Zürcher Staatsanwaltschaft mit Exit? Ist das ein gangbarer Weg?

Juristisch ist das absolut indiskutabel. Die Vereinbarung läuft auf eine Ausschaltung des Gesetzgebers hinaus. Das ist, als ob ein potentieller «Täter» an einer Strafnorm mitarbeitet, die auf ihn angewendet werden soll. Unvorstellbar! Es handelt sich ausserdem um eine unangemessene Soft-law-Regelung, wenn man versucht, Probleme auf einem anderen Weg zu lösen, als auf dem Weg der ordentlichen Gesetzgebung.



Nachtrag zum Interview:

Mit Urteil vom 16. Juni 2010 hat das Schweizerische Bundesgericht die Vereinbarung, welche der Verein Exit mit der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich abgeschlossen hatte und welche dazu bestimmt war, die gesetzliche Lücke über die organisierte Suizidhilfe auf diesem abenteuerlichen Weg zu schliessen, als rechtswidrig und nichtig erklärt. Das Urteil kann unter Opens external link in new windowjumpcgi.bger.ch/cgi-bin/JumpCGI (08.03.2011) eingesehen werden.

 

Über den Autor:

Peter Rosenstock ist 1934 geboren und in Zürich aufgewachsen. Er hat in Zürich und Paris Rechtswissenschaften studiert und Teilstudien in Theologie und Philosophie absolviert. Bis 2006 hatte der Männedörfler eine eigene Rechtsanwaltspraxis in Zürich und betreut heute noch vereinzelt Fälle. Nach zahlreichen juristischen Publikationen hat er im Sommer 2009 sein Buch «Was heisst Freiheit? Fragen an die organisierte Suizidhilfe» veröffentlicht.

Quelle: Opens external link in new windowwww.zsz.ch/pdfs/serien/wochengezsr_010210.pdf

 

Literaturangaben:

  • Peter Rosenstock. Was heißt Freiheit? Fragen an die organisierte Suizidhilfe. Schriftenreihe des Instituts für Lebens- und Familienwissenschaften, Band 6. Verlag für Kultur und Wissenschaften, Bonn: 2010. 56 S. Hardcover. 18.00 €. ISBN 978-3-938116-95-1
  • Das Buch kann über den örtlichen Buchhandel oder online unter Opens external link in new windowwww.vkwonline.de bezogen werden.

Weiterer Artikel des Verfassers:

Downloads:

  • Foto Autor (als Initiates file downloadjpg)
  • Cover (als Initiates file downloadjpg)
  • ILFW-Banner (als Initiates file downloadpdf)
  • ILFW-Prospekt (als Initiates file downloadpdf)

Dokumente

BQ0160_01.pdf