Bonner Querschnitte 09/2015 Ausgabe 345

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Ungewöhnliche Gastvorlesungen von Christine Schirrmacher im Jahr 2014

Brest State University, Weißrussland

(Bonn, 17.03.2015) Prof. Christine Schirrmacher hielt eine Gastvorlesung zu Islam und Menschenrechte (“Human Rights in the Islamic countries with a majority of the population”) an der Juristischen Fakultät der Staatlichen Universität Brest in Weißrussland (Belarus) im Rahmen eines Symposiums zu den Menschenrechten, ein ungewöhnlicher Vorgang, weil Weißrussland keine Demokratie ist und Menschenrechte dort selten öffentlich angesprochen werden.

Die “Brest State University named after A. S. Pushkin” (so der offizielle Name) ist die größte Hochschule im westlichen Weißrussland mit rund 10.000 Studenten in 11 Fakultäten.

Der Gastvorlesung ging ein einstündiges Gespräch mit und eine offizielle Begrüßung durch den Rektor der Universität, Prof. Dr. Mechyslau Chasnouski, voraus.

Jinane University, Libanon

Prof. Schirrmacher nahm an einer Schariagerichtsverhandlung in Saida teil. Außerdem zeigte ihr der Vorsitzende Schariarichter, Sheik Muhammad Abu Zaid, 250 Jahre alte Gerichtsprotokolle, vor allem Familienstandsangelegenheiten, um zu prüfen, ob eine deutsche Universität die Digitalisierung ermöglichen kann. Bei einer anschließenden Stadtführung stellte der Richter betroffen fest, wie schade es sei, dass zunehmend Juden, Christen und Muslime in Saida nicht mehr friedlich nebeneinander leben könnten.

Anschließend hielt Schirrmacher eine Gastvorlesung vor Studenten und Dozenten über die Lage der Muslime in Europa und die Vorteile von Religionsfreiheit an der Al-Iman High School, die Teil der islamischen Jinane Universität ist. Rektor Kamel Kazbar brachte zum Ausdruck, dass er sich häufiger solcher Art Dialog wünschte.

Einer der beiden Obersten Schariarichter des westafrikanischen Landes Gambia, Sheikh E. T. Lewis, besuchte Frau Professor Schirrmacher in Bonn zu einem Gedankenaustausch über ihr Buch „Die Scharia“. Lewis betonte, wie wichtig es sei, dass Gelehrte über Grenzen hinweg sich direkt ein Bild von den Auffassungen anderer machten. 

New Bulgarian University, Sofia

Bei einer Gastvorlesung an der New Bulgarian University in Sofia zu islamischen Minderheiten im Balkan und Osteuropa (“Islam in Europe in a minority context”) verwies die Bonner Professorin Christine Schirrmacher auf die sich stark wandelnden Gesellschaften Europas, insbesondere in Bezug auf ihre religiöse Vielfalt. Die muslimischen Gemeinschaften in Europa müssten sich mit ihrer Minderheitensituation arrangieren und fänden unterschiedliche Antworten auf die Frage, inwiefern islamisches Recht in der Diaspora zu gelten habe. Die Antworten reichten von einer eindeutigen Befürwortung der Integration über die Proklamierung der Förderung vermehrter Sonderrechte bis zu einer völligen Ablehnung der Anpassung an die europäischen Gesellschaften. Die Positionen würden oft durch Theologen und Webseiten aus den Heimatländern ‚befeuert‘.

In dem Symposium prallten die Gelehrtenmeinungen bulgarischer Gelehrter aufeinander, da der Leiter der historischen Abteilung der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften (“Institute for Historical research, Bulgarian Academy of Science”), Prof. Dr. Valery Stoyanov, minutiös die schlechte Lage der Muslime in Bulgarien in den letzten 100 Jahren nachzeichnete und nachwies, dass die meisten Muslime bis in die Gegenwart in die Türkei abgedrängt worden seien (“Models of state policy in regulating of the minority problems”), während der Vorsitzende der Historischen Fakultät der New Bulgarian Society, Prof. Dr. Lachezar Stoyanov, der Meinung war, die Muslime müssten dankbar sein, dass sie in Bulgarien mehr Freiheiten hätten als in der Türkei und ein Land wie Bulgarien aufgrund seiner Geschichte berechtigt sei, so zu verfahren, wie es derzeit verfahre (“Bulgarian constitutions, political institutions and the religious rights”).

Im Rahmen der Gastvorlesung traf Schirrmacher auch den Großmufti von Bulgarien, Ahmed Ahmedov, und den Präsidenten des Zentralrates der Juden (Central Israelite Religious Council) und Generalsekretär des National Council of Religious Communities in Bulgaria (NCRCB), Marcel Israel.

Hochschule für Philosophie, München

Prof. Christine Schirrmacher sprach beim Rottendorf-Symposium „Zur Praxis der Menschenrechte: Formen, Potenziale und Widersprüche“ im Rahmen des Rottendorf Forschungs- und Studienprojekts der Rottendorf-Stiftung mit dem Titel „Globale Solidarität – Schritte zu einer neuen Weltkultur“ an der Hochschule für Philosophie, München über „Aktuelle Diskurse zum Thema ‚Menschenrechte in islamisch geprägten Gesellschaften: Religionsfreiheit – Frauenrechte – Freiheitsrechte‘“.

Sie vertrat die Auffassung, dass während der „Arabischen Revolutionen“ ab 2011 zwar viele Menschen für vermehrte Freiheitsrechte demonstriert hätten, heute aber die menschenrechtliche Situation in der MENA-Region insgesamt eher schlechter aussehe als vor den Revolutionen. Zwar treten viele Menschen, etwa als Menschen- oder Frauenrechtler, aktiv für erweiterte Freiheitsrechte ein, werden jedoch gesellschaftlich und politisch größtenteils von denjenigen dominiert, die Menschen- und Freiheitsrechte nur im Rahmen islamischer Werte gelten lassen möchten.

Stephanuskreis, Bundestag, Berlin

Prof. Schirrmacher referierte vor dem sogenannten „Stephanuskreis“, einer Gruppe von etwa 75 Bundestagsabgeordneten, die sich gegen Christenverfolgung einsetzen, über die Lage der Christen im Nahen Osten und den Hintergrund der politischen Entwicklungen dort.

Die Bonner Professorin hält die Lage der Christen im Nahen Osten gegenwärtig für dramatisch. Sie würden dort, wo durch Unruhen und Bürgerkriege rechtsfreie Räume entstehen, entführt, vergewaltigt, zwangsverheiratet und ermordet. Die staatlichen Institutionen handelten in aller Regel nicht oder viel zu unentschlossen, Täter würden nicht gesucht und bestraft und müssten nicht mit Sanktionen rechnen. Das sei lange Zeit anders gewesen: Christen seien zwar in dieser Region schon immer Bürger zweiter Klasse gewesen, aber sie hätten bisher in den meisten Ländern vergleichsweise sicher gelebt.

Die Wissenschaftlerin macht dafür drei Gründe aus: historische und theologische Gründe sowie Gründe, die in der neuesten Entwicklung liegen. Das Erlöschen des Christentums im Nahen Osten hält sie für eine reale Möglichkeit. Deshalb sei jede Art von Hilfe notwendig. Den Dschihadismus sieht die Wissenschaftlerin als die derzeit größte Bedrohung für den Weltfrieden, nicht nur in Afrika, sondern auch in Europa, wohin bereits die ersten dschihadistischen Kämpfer aus Syrien und dem Irak zurückkehrten und erste Anschläge verübten.

Downloads:

·         Initiates file downloadFoto 1: Vorlesung Universität Brest Weißrussland

·         Initiates file downloadFoto 2: Im Gespräch mit Studentinnen der Jinane University Saida Libanon

Dokumente

BQ0345.pdf