Bonner Querschnitte 14/2012 Ausgabe 208

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Ein reformatorischer Priester: Martin Boos (1762-1825)

Der österreichische Zweig des Martin Bucer Seminars gibt seine Autobiographie neu heraus

(Bonn, 05.06.2012) Das Institut für Theologie und Gemeindebau des Evangelikalen Bildungswerks in Österreich, der österreichische Zweig des Martin Bucer Seminars, hat die 1826 von Johannes Goßner herausgegebene Autobiographie des aus Oberbayern stammenden Predigers der Allgäuer Erweckung in einer gut lesbaren Ausgabe neu herausgegeben.

Martin Boos (1762-1825) war eine wichtige Gestalt in der Allgäuer Erweckungsbewegung. Ein katholischer Priester als „Prediger der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“: Sein reformatorischer Schwerpunkt machte ihn für Katholiken verdächtig: Er wurde verhört, jahrelang eingesperrt, als Pfarrer abgesetzt – und musste auswandern: Augsburg, Gallneukirchen (Oberösterreich), Düsseldorf und Sayn (bei Koblenz) waren die Hauptstationen seines Lebens. Wenn eines von Boos’ „Pfarrkindern“ sein eigenes Leben sehr streng beurteilte und meinte: „mir kann Gott nicht verzeihen“, dann sagte Boos im seelsorgerlichen Gespräch sehr direkt, dass eine solche Haltung letztlich Unglaube sei. Im 19. und im 20. Jahrhundert interessierten sich evangelische Kreise für sein Wirken, auch im englischen Sprachraum erschienen Bücher über sein Wirken. Diese Bücher beruhten durchwegs auf der Selbstbiographie (aus der sie Auszüge brachten), die hier erstmals in moderner Schrift vorgelegt wird (das Original war in Fraktur). Ein weiterer, ebenso umfangreicher Band umfasst Briefe, die diese Lebensdarstellung punktuell vertiefen. Er soll als nächster Band der Reihe erscheinen.

Bibliografische Angaben:

Johannes Goßner (Hg.). Martin Boos, der Prediger der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Seine Selbstbiographie neu herausgegeben von Franz Graf-Stuhlhofer. (Studien zur Geschichte christlicher Bewegungen reformatorischer Tradition in Österreich, Bd. 5). Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft, 2012. 473 S. Pb. 34.00 € (D). ISBN 978-3-86269-018-3 (Hinweis: Ein ebenso umfangreicher Band mit weiteren Briefen soll als Bd. 6 herauskommen.)

Das Buch kann über den örtlichen Buchhandel oder online über Opens external link in new windowwww.vkwonline.de bezogen werden.

 

Im folgenden ein Interview mit dem Herausgeber, dem österreichischen Historiker Dr. Franz Graf-Stuhlhofer, der auch die Einleitung des Buches verfasst hat. (Biografische Angaben finden sich im Anschluss an das Interview.)

Interview mit dem Herausgeber

Bonner Querschnitte: Wer war Martin Boos, dessen Wirken Sie neu bekannt machen wollen?

Dr. Franz Graf-Stuhlhofer: Martin Boos (1762-1825) war eine wichtige Gestalt in der Allgäuer Erweckungsbewegung.

 

BQ: Zwei Jahrhunderte sind vergangen, seit die Autobiographie von Martin Boos erstmals erschien. Warum wird sie jetzt nachgedruckt?

FGS: Etliche öffentliche Bibliotheken haben dieses Buch, aber es wurde damals in Fraktur gedruckt. Das zu lesen fällt vielen Menschen heute schwer. Deshalb entschlossen wir uns dazu, es in heutiger Schrift neu herauszugeben.

 

BQ: Was ist das Besondere an Boos?

FGS: Er war „der Prediger der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“, wie das schon der Buchtitel sehr treffend sagte.

 

BQ: Das erinnert an den Reformator Martin Luther.

FGS: Ja, aber dieser andere Martin, Martin Boos, blieb bis an sein Lebensende in der katholischen Kirche. Das wurde ihm schwer gemacht, er kam – aufgrund seiner Verkündigung – mehrmals in kirchliche Gefängnisse.

 

BQ: Für wen ist diese Autobiographie interessant?

FGS: Wer mit traditionellen Katholiken zu tun hat, lernt hier deren Mentalität besser verstehen. Viele Katholiken meinten, aufgrund ihres kirchlich geprägten Lebens in den Himmel zu kommen, gleichzeitig befiel sie eine innere Unruhe, insbesondere vor ihrem Sterben. Solche Begegnungen machten Boos nachdenklich, und er kam schließlich selbst zu einer „reformatorischen Lebenswende“. Danach versuchte er – als Priester –, diese Erfahrung auch den Katholiken seiner Pfarrei nahezubringen. Er sagte ihnen direkt, dass sie eigentlich gar nicht an Jesus glauben, wenn sie auf ihre eigenen Werke vertrauen.

 

BQ: Das wäre also ein durchaus praktischer Grund, er betrifft unsere Verkündigung heute. Aber was bringt diese Autobiographie für den an Erweckungsgeschichte oder sonst historisch Interessierten?

FGS: Boos war in der Erweckungsbewegung um 1800 sehr wichtig. Die Stimmung der damaligen Zeit wird sehr persönlich greifbar. Boos schrieb gerne Briefe, dadurch bekommen wir Einblicke in seine Situation und die Glaubensgespräche, die er führte (u. a. in Augsburg und in Gallneukirchen). Er korrespondierte etwa intensiv mit Anna Schlatter in St. Gallen, Großmutter des Tübinger Theologen Adolf Schlatter und des Neutestamentlers Theodor Zahn. Von ihr erhält dieser nachgedruckte Band eine Reihe langer, mit viel Weisheit geschriebener Briefe!

 

BQ: Wir danken für das Gespräch!

Franz Graf-Stuhlhofer, geboren 1955, Dr.phil. in Geschichte (Univ. Wien) sowie B.Sc. in Naturwissenschaften (Univ. Aarhus). Er untersuchte u.a. Predigten zur NS-Zeit („Öffentliche Kritik …“, 2001), tendenziöse evangelische Endzeitliteratur („Das Ende naht!“ Die Irrtümer der Endzeitspezialisten, 3. Aufl. 2007) und die Geschichte der Baptisten in Österreich („Frisches Wasser …“, 2005).

Dokumente

BQ0208.pdf