Bonner Querschnitte 18/2018 Ausgabe 535
ZurückReligionsfreiheit ist ein Menschenrecht
Erstmals gibt es im deutschsprachigen Raum eine Professur, die sich mit dem Thema âReligionsfreiheit und Erforschung der Christenverfolgungâ beschäftigt. Besonders betont wurde die Universalität des Menschenrechts auf Religionsfreiheit und dessen positive Auswirkungen.
VON LENA OHM, MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG VON EVANGELISCH.DE
(Bonn, 22.06.2018) An der Freien Theologischen Hochschule GieÃen (FTH) ist am Freitag, dem 18. Mai 2018, ein neuer Lehrstuhl an den Start gegangen: Der württembergische Pfarrer Christof Sauer, der zuvor Forschungsdirektor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit war, übernimmt die âProfessur für Religionsfreiheit und Erforschung der Christenverfolgungâ. Nach Angaben der evangelikal geprägten Hochschule ist es die erste derartige Professur im deutschsprachigen Raum.
Stephan Holthaus, Direktor der FTH GieÃen, sieht darin ein Signal an die wissenschaftliche Welt, dass diese Themen eben nicht nur auf die Kanzeln, sondern auch an die Universitäten gehören. Er betonte, dass nicht nur Christen, sondern auch Angehörige anderer Religionsgemeinschaften Verfolgung wegen ihres Glaubens erfahren und dass auch ihre Schicksale die Forschung beschäftigen werden: âReligionsfreiheit gilt für alle Menschen, und deswegen wird sich der Lehrstuhl auch für die allgemeine Religionsfreiheit in allen Ländern der Welt einsetzen und nicht nur für die Christen.â
Der spezifische Zusatz âErforschung der Christenverfolgungâ sei jedoch bewusst gesetzt worden, da man als Theologische Hochschule ein besonderes Interesse an den Fragen der Ausbreitung des Christentums habe. AuÃerdem, so ergänzt Christof Sauer, erfasse der Begriff âReligionsfreiheitâ, der vor allem das menschenrechtliche Konzept abdecke, gar nicht alle Phänomene, mit denen man sich befassen müsse. âWenn sich zum Beispiel ein Mädchen in Indien dem christlichen Glauben zuwendet und ihre hinduistischen Eltern sie deshalb enterben, dann ist das â solange keine Gewalt angewendet wird â kein Verstoà gegen die Menschenrechteâ, so Sauer, âaber natürlich ist es eine Form der religiösen Diskriminierungâ. Für solcherlei Fragen braucht man laut Sauer eine speziell kirchlich, christlich, theologische Betrachtung des Themas, und deshalb ist das Thema seiner Meinung nach an einer theologischen Ausbildungsstätte gut aufgehoben.
Auch der stellvertretende Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz, Thomas Schirrmacher, sieht in der Konzeption des Lehrstuhls kein âentweder/oderâ: âWir setzen uns für unsere Familie ein und natürlich auch für die der anderen.â Schon von Beginn an seien für die Allianz die beiden Themen Mission und Religionsfreiheit zwei Seiten derselben Medaille. âReligionsfreiheit bringt Frieden, Unterdrückung der Religionsfreiheit bringt Unruhe. Diese damals neue Erkenntnis hat sich mit der Zeit immer wieder bewahrheitetâ, so Schirrmacher. Man hoffe sehr, dass die Einrichtung dieses Lehrstuhls keine Eintagsfliege bleibe, sondern wegweisenden Charakter habe â schlieÃlich betreibe man ja auch keine Frauenpolitik ohne die Frauenverbände zu beteiligen.
Mit einer âGroÃen Anfrageâ an die Bundesregierung im Juni 1999 zur Verfolgung von Christen in aller Welt hatte Hermann Gröhe zusammen mit anderen Unions-Abgeordneten das Thema auf die politische Tagesordnung gesetzt. Diesen Wunsch verfolge er auch fast 20 Jahre später immer noch â nur müsse das Thema, wenn es aufâs Radar der Politik gehöre, präzise sein und nicht auf âgut gemeintem Alarmismusâ beruhen. Auf eine Präzisierung hofft er durch die wissenschaftliche Begleitung des Themas durch die neue Professur. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften der CDU/CSU-Bundestagsfraktion forderte aber auch alle Christen dazu auf, sich nicht immer nur in der Opferrolle zu sehen, sondern innezuhalten und sich bewusst zu machen, dass Religionsfreiheit ein Menschenrecht sei â gerade beim Thema Moscheebau werde das gerne vergessen. Da würden viele argumentieren, dass es in mehrheitlich muslimischen Ländern auch nicht möglich sei, Kirchen zu bauen, und dass der Moscheebau hier erst möglich sein solle, wenn in den anderen Ländern die Kirchen gebaut werden könnten. âDabei ist Religionsfreiheit ein Geburtsrecht, das nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Jedem Menschen gebührt der Respekt um seiner selbst willen. Das muss nicht erarbeitet werden. Und wir Christen glauben sogar, dass dieser Respekt von Gott gegeben istâ, so Hermann Gröhe.
Wie oft dieses Geburtsrecht auf Religionsfreiheit weltweit mit FüÃen getreten wird, illustriert Heiner Bielefeldt, der bis vor anderthalb Jahren noch Sonderberichterstatter der UN für Religions- und Weltanschauungsfreiheit war. Das Leid der Rohingya in Myanmar, das der Zeugen Jehovas in Russland, der Jesiden im Nahen Osten oder auch das der muslimischen Flüchtlinge in Ungarn. âJeden Tag bekommen wir neue Meldungen über Menschenrechtsverletzungen, aber wir haben trotzdem noch systematisch blinde Flecke, bei denen wir uns fragen müssen, ob uns die Antennen dafür fehlen oder ob sie falsch ausgerichtet sindâ, beklagt Bielefeldt. Als Beispiel führt er unter anderem die Situation von Haushaltsangestellten an. So wisse kaum jemand, dass zehntausende Buddhisten im Libanon leben oder womöglich sogar drei Mal mehr Hindus als Muslime in Katar â Menschen, für die es keine religiöse Infrastruktur gebe. âSie werden nicht gezählt, weil sie nicht zählenâ, so Bielefeldt. Rede man über diese Menschen, falle häufig das Stichwort âSklaverei-ähnliche Verhältnisseâ â über die religionsfreiheitlichen Einschränkungen, die diese Menschen ebenfalls erdulden müssen, werde nicht gesprochen. Deshalb plädiert Bielefeldt dafür, die Arbeit in einen breiteren menschenrechtlichen Kontext zu stellen. âDie Religionsfreiheit braucht Menschenrechte, aber das gilt auch anders herum. Denn ohne Religionsfreiheit wäre der gesamte Menschenrechtsanspruch nur eine leere Hülleâ, sagt Bielefeldt.
Neben all den theoretischen Betrachtungen hat FTH-Direktor Stephan Holthaus im Laufe der vergangenen Jahre unter den Absolventen der Hochschule auch einen praktischen Bedarf für dieses Thema entdeckt. âWir haben über 1.000 Absolventen in 42 Ländern der Weltâ, erklärt er, âund einige von ihnen arbeiten in Ländern, in denen es keine Religionsfreiheit gibt oder wo Christen verfolgt werden. Deswegen ist uns als staatlich anerkannte theologische Hochschule das Thema so wichtig.â Die 140 Studenten an der FTH sollen sich während ihrer Ausbildung nun zumindest ein Semester lang eingehend mit der Thematik befassen.
Inhaltlich setzt Christof Sauer auf verschiedene Schwerpunkte: Methodische und statistische Ãberlegungen zum Vergleich der Länder und zur Quantifizierung der Verfolgung gehören genauso dazu wie der kirchengeschichtliche Rückblick auf die wegen ihres Glaubens Getöteten und die theologische Deutung der ethischen Fragen. âIch erhoffe mir, dass durch unser Engagement hier die Themen Religionsfreiheit und Christenverfolgung in der theologischen Ausbildung mehr in die Breite wirkenâ, so Sauer. Er beschäftigt sich schon seit dem Studium mit dem Themenkomplex â seitdem im Bereich der Missionswissenschaften an seiner Universität keine Seminarinhalte zu âMission und Martyriumâ angeboten wurden und sein Professor ihn dazu aufforderte, selbst so ein Seminar zu konzipieren. Was folgte, waren diverse Hausarbeiten, Examensarbeiten, Bücher und schlieÃlich sogar seine Habilitation an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal zum Thema âMartyrium und Missionâ.
Downloads und Links:
Foto 1: (v. l.) Hermann Gröhe, Heiner Bielefeldt, Thomas Schirrmacher © Martin Warnecke/IIRF
Foto 2: Hermann Gröhe bei seinem Vortrag (Nahaufnahme) © Martin Warnecke/IIRF
Foto 3: Hermann Gröhe bei seinem Vortrag (Saal) © Martin Warnecke/IIRF
Foto 4: Heiner Bielefeldt bei seinem Vortrag © Martin Warnecke/IIRF
Foto 5: Markus Grübel bei seinem Vortrag © Martin Warnecke/IIRF
Foto 6: Staatssekretär Manuel Lösel, Kultusministerium, bei seinem Vortrag © Martin Warnecke/IIRF
Foto 7: Prälat Prof. Dr. Helmut Moll bei seinem Vortrag © Martin Warnecke/IIRF
Foto 8,
Foto 9 und
Foto 10: Christof Sauer bei seinem Vortrag (Nahaufnahme) © Martin Warnecke/IIRF
Foto 11 und
Foto 12: Christof Sauer bei seinem Vortrag (Saal) © Martin Warnecke/IIRF
Foto 13 und
Foto 14: Stephan Holthaus bei seinem Vortrag © Martin Warnecke/IIRF
Foto 15: Thomas Schirrmacher bei seinem Vortrag (Nahaufnahme) © Martin Warnecke/IIRF
Foto 16: Thomas Schirrmacher bei seinem Vortrag (Saal) © Martin Warnecke/IIRF
Foto 17: Erste Reihe (v. l.): Jürgen Werth, Thomas Schirrmache, Helmut Moll, Manuel Lösel, Hermann Gröhe, Markus Grübel, Heiner Bielefeldt, Susanne Geske © Martin Warnecke/IIRF
Foto 18: (v.l.) Heiner Bielefeldt, Markus Grübel, Christof Sauer, Hermann Gröhe, Thomas Schirrmacher, Manuel Lösel © Martin Warnecke/IIRF
Foto 19: Christof Sauer und Thomas Schirrmacher im Gespräch mit Prälat Prof. Dr. Helmut Moll © Martin Warnecke/IIRF
Foto 20: Christof Sauer und Thomas Schirrmacher mit Gästen der syrisch-orthodoxen Kirche © Martin Warnecke/IIRF
- Die ursprüngliche Meldung auf evangelisch.de:
https://www.evangelisch.de/inhalte/150103/19-05-2018/fth-giessen-professur-religionsfreiheit-erforschung-christenverfolgung
