Bonner Querschnitte 23/2013 Ausgabe 259a
ZurückResolution gegen den Menschenhandel und für den Schutz der Opfer auf dem Weg zum Bundestag
Von Ingeborg Laabs, Mission Freedom (Hamburg)
(Bonn, 18.06.2013) Auf groÃes Interesse stieà das brisante Thema Menschenhandel in Deutschland bei den Besuchern des 34. Evangelischen Kirchentags in Hamburg. Zeitweise brachten 2.300 Zuhörer die Fischauktionshalle in Hamburg fast zum Platzen. Die von den Anwesenden per Akklamation verabschiedete Resolution an den Bundestag fordert:
Menschenhandel und Sklaverei sind verboten. Trotzdem schätzen Experten, dass weltweit rund 27 Millionen Menschen nicht frei leben können und unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten müssen. Europa ist dabei ein wichtiger Umschlagplatz und ein Zentrum des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Ca. 400.000 junge Menschen, vorwiegend Frauen, davon ein Viertel Minderjährige, werden jedes Jahr allein in Europa in der Zwangsprostitution vergewaltigt und versklavt. Es liegen hier Freiheitsberaubung, Folter oder Vergewaltigung vor, die Menschenrechte werden verletzt. Wir fordern, die Opfer bedingungslos zu schützen, ihnen Aufenthaltsrechte zu geben, die Sicherheitsbehörden besser für den Kampf gegen Menschenhandel auszustatten, Beratungsorganisationen finanziell abzusichern, die Täter härter zu bestrafen und den Menschenhandel endgültig zu beenden.
Der âTag gegen Menschenhandelâ, den âGemeinsam für Hamburg e.V.â im Rahmen des Kirchentages organisierte, begann mit dem an allen Orten des Kirchentages gleichen Bibelwort Lukas 18,1-8. Der Ruf nach Gerechtigkeit wurde von Pastor Matthias C. Wolff ausgelegt. Er forderte dieses Recht auch für die Opfer des Menschenhandels ein.
Auf den Punkt brachte das Thema dann in seiner umfassenden Rede Professor Dr. theol. Dr. phil. Thomas Schirrmacher, Botschafter für Menschenrechte der Weltweiten Evangelischen Allianz, die etwa 600 Mio. evangelische Christen vertritt, und Direktor von deren 2006 gegründeten Internationalen Instituts für Religionsfreiheit (Bonn, Kapstadt, Colombo). Er setzt sich bei den Vereinten Nationen und bei Regierungen und Religionsführern weltweit gegen Menschenhandel ein. Schirrmacher ist Professor für Religionssoziologie in Rumänien und für Ethik in Indien. Er ist Autor des Buches: âMenschenhandel â Die Rückkehr der Sklavereiâ.
Er skizzierte in seiner Rede die heutige Lage in Europa für Menschen, die wie Sklaven gehalten werden. Junge Frauen aus Osteuropa oder Afrika sehen oft keine Perspektive in ihrer Heimat zum Geldverdienen. Menschenhändler machen sich das zu Nutze und locken sie mit falschen Versprechungen nach Westeuropa. Auf dem Weg wird ihnen der Pass weggenommen, sie werden bedroht, geschlagen und vergewaltigt. Deutschland ist ein Ziel- und Täterland. Hier müssen diese Frauen gegen ihren Willen als Prostituierte arbeiten und werden wie Ware gekauft und weiter verkauft. Sie sind brutaler Ausbeutung, systematischem Missbrauch und Gewalt ausgeliefert.
âFast alle Länder der Welt haben harte Gesetze und Strafen gegen Vergewaltigung, Folter und Entführungâ, erläuterte Prof. Dr. Thomas Schirrmacher. Zwangsprostitution umfasst alle diese drei Verbrechen gleichzeitig, wird aber viel nachlässiger behandelt, kaum ermittelt und gelinde bestraft.
Ruth Dearnley, Geschäftsführerin von âStopp the Traffikâ mit Sitz in London, berichtete eindrucksvoll von GroÃbritannien, dass dieses Problem â genau wie in Deutschland â auch dort in jedem Ort anzutreffen ist. Sie forderte die Zuhörer auf, wachsam zu sein, was in der Nachbarschaft passiert. Sie rief dazu auf, dass alle das eigene Verhalten überprüfen und nicht länger wegsehen.
Am Nachmittag führte Torsten Hebel durch eine anregende Podiumsdiskussion. Schwester Paula Fiebag von der international tätigen Hilfsorganisation âSolwodiâ berichtete von den Erfahrungen, wie ihre Organisation betroffenen Frauen Hilfe anbieten konnte. Der Bundestagsabgeordnete Frank Heinrich setzt sich seit Jahren ebenfalls für dieses Thema ein und forderte auf, den eigenen Abgeordneten anzuschreiben und auf das Thema Menschenhandel aufmerksam zu machen â auch da gibt es Wege, sich Gehör zu verschaffen. Gaby Wentland, Vorstandsvorsitzende von âMission Freedomâ, bereicherte die Gesprächsrunde mit Beispielen, wie âMission Freedomâ ganz praktisch den Frauen in Hamburg beisteht â und was das in der Vergangenheit schon alles bewirkt hat.
Spannend wurde das Thema auch durch den Leiter der zuständigen Abteilung für organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt, Jörn Blicke. Auch hier wurde deutlich, wie dringend notwendig Deutschland andere Gesetze braucht, die den Beamten einen gröÃeren Handlungsspielraum ermöglichen. Professor Thomas Schirrmacher unterstrich noch einmal die Dringlichkeit der schon am Morgen unterschriebenen Resolution an die Bundesregierung und nannte eine rechtsstaatliche Polizei eine der wichtigsten Menschenrechtsorganisationen.
Der am Nachmittag schon mehrfach in der Stadt Hamburg für Aufsehen sorgende Flashmopp gegen Menschenhandel trat nun auch in der Fischauktionshalle auf. Männer verpackten ihre âFreundinnenâ in Frischhaltefolie, versahen sie mit einem Preisschild und schoben sie zu einem Händler, der sie meistbietend als Frischfleisch anbot. Beherzte Besucher konnten dann die Frauen âbefreienâ und aus der Folie auswickeln.
Die Betroffenheit erlebte ihren Höhepunkt, als am Abend Lisa erzählte, wie sie von ihrem Vater in die Prostitution verkauft wurde und wie sie wieder frei kam. Plötzlich wurde aus den nüchternen Zahlen ein Einzelschicksal. Man kann die Qualen sicherlich nicht erfassen, die diese jungen Frauen aushalten müssen. Berührend war, wie viel Zuspruch sie von den Zuhören bekam.
In einem Interview fasste dann Professor Schirrmacher den Tag noch einmal zusammen. Ein bewegender Gottesdienst bildete den Abschluss dieses aufrüttelnden âTages gegen Menschenhandelâ.
Pro
Als Alternative bieten wir Ihnen auÃerdem einen Bericht des Pro-Medienmagazins an:
Gegen Zwangsprostitution in Deutschland haben sich am Donnerstag hunderte Kirchentagsbesucher in Hamburg stark gemacht. In einer Resolution forderten die Unterzeichner Politiker dazu auf, Opfer von Menschenhandel besser zu schützen. Die Teilnehmer einer Diskussionsrunde riefen besonders Christen auf, gegen das Unrecht vorzugehen.
Schwester Paula Fiebag von der katholischen Hilfsorganisation âSolwodiâ berichtete im Rahmen der Talkrunde zum Thema âZwangsprostitution â bei uns vor der Tür?â aus ihrem Arbeitsfeld. Ihre Organisation hilft Frauen, aus der Zwangsprostitution zu fliehen. Moderne Sklaverei sei âein Verbrechen, das mitten unter uns stattfindetâ, sagte Fiebag. Allein im vergangenen Jahr habe Solwodi 1.709 Frauen aus 105 Länder betreut. Politiker sprächen zwar oft über das Thema, täten aber wenig dagegen, kritisierte sie. Das Prostitutionsgesetz habe mehr den Schleppern, Schleusern und Zuhältern geholfen als den Frauen. Hinzu komme, dass die Polizei nur geringfügig gegen Menschenhandel vorgehe. Bordelle würden seltener kontrolliert, weil es zu wenig oder überlastetes Personal gebe. Wie drängend die Not ist, machte sie mit der Geschichte von Zaida aus Rumänien klar, einer Frau, die Fiebag aus ihrer Arbeit kennt. Vor zehn Jahren sei sie nach Deutschland gekommen, um Geld für ihre Familie zu verdienen. Ein Freund habe sie mit dem Versprechen ins Land geschleust, hier könne sie eine gute Arbeit finden. In der Bundesrepublik angekommen, habe er sie zur Prostitution gezwungen, bei Widerstand habe er sie geschlagen. Er habe sogar gedroht, ihre Tochter in Rumänien zu vergewaltigen, sollte sie eine Flucht wagen. âZaida ist eine von hunderten Frauen, denen wir jedes Jahr begegnenâ, sagte Fiebag, und weiter: âGott will nicht, dass diese Frauen leiden.â
âWie tausend Mal vergewaltigtâ
Gaby Wentland von der christliche Organisation âMission Freedomâ benannte ein weiteres Problem: Viele Frauen sprächen kein Deutsch, könnten deshalb oft nur schwer Hilfe suchen. Viele seien zudem traumatisiert: âIch weià nicht, ob sich jemand hier vorstellen kann, wie es ist, wenn man 1.000 Mal vergewaltigt wird.â Ruth Dearnley von der Organisation âStop the Trafficâ wünschte sich besonders von Christen, dass sie sich öffentlich gegen diese Verbrechen stark machen. Wie das gehen kann, erklärte der CDU-Bundestagsabgeordnete Frank Heinrich. Er rief die Zuhörer dazu auf, sich direkt an ihre Abgeordneten im Bundestag zu wenden. âIch habe zu dem Thema in den letzten dreieinhalb Jahren vielleicht fünf Zuschriften bekommenâ, sagt er.
Thomas Schirrmacher, Botschafter für Menschenrechte der Weltweiten Evangelischen Allianz, kritisierte, der Umgang mit Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollten, sei âmies geregeltâ. Gerade Christen seien in diesem Punkt gefragt: Er beobachte, dass die Motivation âim Namen Gottes Gerechtigkeit zu fordernâ bei Evangelikalen besonders stark sei.
Jörg Blicke vom Landeskriminalamt Hamburg zeigte sich skeptisch, was die Bekämpfung von Zwangsprostitution angeht: âWir werden immer damit leben müssenâ, sagte er. Es gebe eine Nachfrage, die sich nicht einfach so abschalten lasse. Mit Prostitution lieÃe sich eben Geld verdienen. âMan kann nicht jeder Frau helfenâ, erklärte er und berichtete von einer Prostituierten, die von ihrem Zuhälter unter Druck gesetzt worden sei, indem er ihr ein Foto ihrer in Russland lebenden Tochter gezeigt habe. In dem Moment habe die Frau gewusst, dass ihr Kind nicht sicher sei, der Polizei in Deutschland hingegen seien die Hände gebunden gewesen. (pro)
Links
· http://www.erf.de/radio/erf-pop/aktuell/5865-2318 (Radiobericht mit Auszügen der Reden)
· http://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft.html?&news%5Baction%5D=detail&news%5Bid%5D=6580
· https://www.facebook.com/pages/MISSION-FREEDOM-eV/246676348719542: siehe Einträge zu 1.5., 2.5., 3.5., 4.5. (mehrfach), 10.5., bis 16.5.2013
· http://mission-freedom.de/menschenhandel/einladung-dr-schirrmacher
· http://www.gemeinsam-gegen-menschenhandel.de/mitmachen/resolution/
· Kritik: http://www.ndr.de/regional/hamburg/kirchentag/wersglaubt/sexarbeiterin109.html
Downloads:
· Auszug aus Kirchentagszeitung (pdf)
· Auszug aus der mopo (jpg)
· alle Fotos: © Ingeborg Laabs
· Foto 1: von links: Thomas Schirrmacher, Ruth Dearnley (Stopp the Traffik), Frank Heinrich MdB, Jörn Blicke LKA, Schwester Paula Fiebag (Solwodi), Gaby Wendtland (Mission Freedom)
· Foto 2: Schwester Paula Fiebag und Thomas Schirrmacher vor vollem Haus
· Foto 3: während der Podiumsdiskussion, von links: Thomas Schirrmacher, Paula Fiebag, Frank Heinrich, Torsten Hebel (Moderator), Ruth Dearnley, Gaby Wendtland, Jörn Blicke
· Foto 4: von links: Thomas Schirrmacher, Paula Fiebag, Frank Heinrich
· Foto 5: Thomas Schirrmacher während seines Referates
