Bonner Querschnitte 27/2016 Ausgabe 422

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Der Gedanke der Einheit von Staat und Religion ist ein in die islamische Geschichte zurückprojiziertes Ideal

Ringvorlesung an der Hochschule Biberach

(Bonn, 02.07.2016) Im Rahmen der Ringvorlesung 2016 „Offene Gesellschaft“ der Hochschule Biberach in Biberach an der Riss referierte die Bonner Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher über die Frage „Islam und Demokratie – ein Gegensatz?“.

Aus den Quellentexten der islamischen Theologie sei, so die Referentin, weder eine Befürwortung noch eine Ablehnung der Demokratie ablesbar. „Der Korantext“, so Schirrmacher wörtlich, „gibt keine eindeutige Auskunft über die Frage, welche Herrschaftsform im Islam als ideal betrachtet wird. Zwar könnte aus dem unhinterfragbaren Vorbild Muhammads als Heerführer, Gesetzgeber und Prophet geschlussfolgert werden, dass die ideale islamische Herrschaft geistliche und weltliche Herrschaft zugleich sein solle.“ Allerdings handele es sich bei diesem Gedanken der Einheit von Staat und Religion vor allem um ein in die islamische Geschichte zurückprojiziertes Ideal, da man über die Frühzeit des Islam tatsächlich sehr wenig wisse.

In Wirklichkeit musste sich die islamische Gemeinschaft spätestens nach der Regierungszeit 632-661 n. Chr. der Muhammad nachfolgenden vier Kalifen mit der Tatsache auseinandersetzen, dass es einen einzigen Herrscher über die Gesamtheit der Muslime und eine Einheit von weltlicher und geistlicher Macht niemals mehr gab. Realität war vielmehr eine Vielzahl miteinander um die Macht ringender rivalisierender Familien, Dynastien, Regionen und theologischen Gruppierungen, die sich gegenseitig bekämpften und sich den Herrschaftsanspruch bzw. die Deutungshoheit über den Islam erbittert streitig machten. Solche theologisch begründeten Herrschaftsansprüche stehen einer demokratisch legitimierten Herrschaftsform ohne Frage entgegen. In der Realität aber finden Brückenschläge zwischen islamischen Gesellschaften und demokratisch gewählten Staatsoberhäuptern statt, wie etwa das Beispiel der Türkei zeigt.

„Der Islam“ als private Religionsausübung oder ethisches Wertegerüst, stellte Schirrmacher fest, werde einer Demokratie kaum entgegenstehen. Das gelte aber nicht, wenn auch das islamische Rechtssystem Geltung besäße, das Gesetze, Werte und Normen bestimmt. Wo das Schariarecht Gesetz, Gesellschaftsordnung und Rechtsprechung präge, werde es keine umfangreichen Freiheitsrechte im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 geben können, denn das Schariarecht kann in seinem klassischen Verständnis weder Männern und Frauen noch Muslimen und Nichtmuslimen noch Religionswechslern oder Atheisten Gleichberechtigung einräumen.

Die Schwerpunkte der 1964 gegründeten Hochschule Biberach sind Architektur, Bauwesen, Betriebswirtschaft, Biotechnologie und Energie-Ingenieurwesen. Sie hat derzeit etwa 2400 Studenten.

 

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·        Einladung: http://www.hochschule-biberach.de/web/guest/home/-/asset_publisher/ZqSXl7xb3Sdn/content/artikel_ringvorlesung-offene-gesellschaft_prof-dr-christine-schirrmacher/72808/maximized?

·        http://www.hochschule-biberach.de

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