Bonner Querschnitte 30/2008 Ausgabe 82

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â??Als Theologe dürfte Krüger wissen, was er tutâ??

Interview mit Thomas Schirrmacher zu den Vorwürfen des Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, die Evangelikalen wollten die Deutschen ihrer Freiheitsrechte berauben

(Bonn, 13.12.2008) Die massiv staatlich geförderte Zeitschrift „Q-rage“ wurde kürzlich in einer Auflage von einer Million von der Bundeszentrale für politische Bildung an Schulen bundesweit verschickt. Neben Artikeln, die Verständnis für Muslime wecken sollen, findet sich auch der Beitrag „Die evangelikalen Missionare“. Darin werden den evangelikalen Gemeinden ihre „erzkonservativen, zum Teil verfassungsfeindlichen Ideologien“ vorgeworfen. Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung Thomas Krüger (SPD) empfiehlt gerade diesen Artikel in seinem Begleitschreiben. Dieser enthalte „interessante Informationen, wie islamistische und evangelikale Gruppen, die wichtige Freiheitsrechte in Frage stellen, Jugendliche umwerben“. Wir befragten dazu den Theologen und Religionssoziologen Thomas Schirrmacher als Sprecher für Menschenrechte der Weltweiten Evangelischen Allianz, die in ihren Mitgliedsorganisationen etwa 420 Mio. Evangelikale vertritt.

Hinweis: „BQ“ darf bei Übernahme gegen den Namen der eigenen Veröffentlichung ersetzt werden. Das Interview darf auch teilweise übernommen werden.

 

BQ: Professor Schirrmacher, sind Evangelikale verfassungsfeindlich?

Schirrmacher: Dafür wird natürlich kein einziger Beleg geliefert. In allen Verfassungsschutzberichten kommt überhaupt keine christliche Gruppe vor und die Evangelikalen haben gerade in jüngster Zeit ihre Unterstützung unserer rechtsstaatlichen Demokratie immer wieder in Veröffentlichungen deutlich gemacht. Wenn ich täglich meine Zeitung aufschlage, finde ich da eine Menge Aktivitäten von Verfassungsfeinden, wo da aber Evangelikale dem auch nur in die Nähe kommen sollen, ist mir schleierhaft. Wenn 400-700 Millionen Evangelikale weltweit Demokratien umstürzen und Menschenrechte beschneiden wollten, würden sie aber etwas häufiger davon in der Zeitung lesen, geschweige denn, wenn sie gewalttätig wären.

Wir Evangelikalen leben seit Jahrzehnten in diesem Land mit Millionen Menschen völlig friedlich zusammen und diese Millionen leben friedlich mit uns zusammen. Ich kann alle Politiker und Medienvertreter nur aufrufen: Bitte helfen Sie mit, dass dies so bleibt und kein hasserfülltes Klima gegen uns entsteht!

 

BQ: Und wie steht es mit den Freiheitsrechten?

Schirrmacher: Die evangelikale Bewegung ist aus der Antisklavereibewegung in England geboren worden, wo der Evangelikale William Wilberforce die Abschaffung der Sklaverei im 18. Jahrhundert erreichte. Die Evangelische Allianz trat weltweit bereits Mitte des 19. Jahrhunderts massiv für Religionsfreiheit für alle ein, als die meisten Staaten (und Kirchen) das Wort noch nicht einmal buchstabieren konnten! Wir sind heute weltweit Vorreiter für Menschenrechte und gegen Armut – jüngst lobte der Generalsekretär der UNO in einem Festakt die Weltweite Evangelische Allianz dafür.

Besonders perfide finde ich, dass in einem Heft, das Rassismus an Schulen bekämpfen soll, der Eindruck erweckt wird, wir wären Rassisten. Evangelikale haben immer den Rassismus bekämpft, in der Sklaverei, in den USA, in Südafrika und überall. Eine ihrer Stärken ist gerade diese völkerübergreifende Glaubensgemeinschaft. Evangelikale Schüler haben an Schulen überall ein überdurchschnittlich gutes Verhältnis zu ausländischen Mitschülern! Lächerlich, dass gerade sie an Schulen für Rassismus verantwortlich sind. Die wahren Täter lässt man wieder einmal laufen.

 

BQ: Meinen Sie denn, der Präsident der Bundeszentrale kennt sich in Religionsfragen genügend aus, dass ihm die Tragweite seiner Aussagen bewusst ist?

Schirrmacher: Ja, selbstverständlich, immerhin ist er von Haus aus Theologe und war Vikar in der DDR, bevor er 1989 in die Politik wechselte. Seine Abneigung gegen konservative Theologie ist nicht neu und er ist auch genügend in die Diskussion über den Islamismus geraten, um zu wissen, was auf dem Spiel steht. Im Wikipedia-Artikel über Thomas Krüger wird das so zusammengefasst: „Krüger kam 2005 in die Kritik, weil er den Vorsitzenden der vom Verfassungsschutz beobachteten ‚Islamischen Gemeinschaft in Deutschland‘ (IGD) Ibrahim El-Zayat als ‚Experten für Integrationsfragen‘ empfahl und, auch als dessen islamistischer Hintergrund klar wurde, an el-Zayat festhielt.“

Wie genau er Bescheid weiß, zeigt auch seine Formulierung. Er klagt nicht pauschal die Muslime an, sondern differenzierend nur die „Islamisten“. Bei den 400-700 Millionen Evangelikalen weltweit gibt es für ihn aber offenbar nichts zu differenzieren, sie werden pauschal neben Islamisten gestellt, als würden wir täglich von evangelikalen Bomben lesen. Überlegen sie einmal, 1,8 Mio. Evangelikale in Deutschland wollten Freiheit mit Gewalt einschränken. Und davon hat noch keiner etwas mitbekommen, wo uns gleichzeitig einige Tausend Islamisten in Atem halten?

Das wäre ja übrigens privat auch alles Krügers gutes Recht, aber als Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung hat er auch als SPD-Mitglied sowohl die Verantwortung, politische Bildung im Sinne aller demokratischen Parteien zu machen, als auch, nicht regierungsamtlich seine persönliche Meinung zu verbreiten. Hier ist sicher auch die CDU gefordert, repräsentiert etwa in seinem Stellvertreter oder seinem Dienstherrn, dem Bundesinnenminister, der Verquickung von privater Meinung mit dem Auftrag der steuerfinanzierten Bundeszentrale, unsere Verfassungswerte übergreifend auf allen Ebenen zu verbreiten, einen Riegel vorzuschieben.

 

BQ: Würden Sie das als Christenverfolgung bezeichnen?

Schirrmacher: Gemach, gemach! Je stärker Evangelikale in den Medien präsent sind und sich sozial und politisch engagieren, desto mehr rühren sich auch ihre Gegner. Wir haben derzeit so viele Chancen, uns selbst in den Medien darzustellen, wie nie zuvor. Verantwortliche aller Art holen unseren Rat ein wie nie zu vor. Alle verfolgten Christen weltweit würden sofort mit uns tauschen. Immerhin geht es nur darum, dass einzelne Politiker ihre private Abneigung gegen uns schriftlich – und leider steuerfinanziert – verbreiten, um mehr nicht.
Kurzum, ich glaube, solche Entgleisungen sind nur eine Folge davon, dass es Leute ärgert, dass sich Evangelikale inzwischen auf vielen Feldern unmittelbar in gesellschaftliche Belange einmischen und offensichtlich erfolgreich in der Demokratie mitwirken. Früher war es ein Dauervorwurf an die Evangelikalen, dass sie die Stillen im Lande seien und sich nicht gesellschaftlich engagieren würden. Jetzt tun wir es, da ist es manchen auch nicht recht.

Die entscheidende Frage wird auf Dauer sein, wie gut die Medien in Deutschland recherchieren und ob sie fair berichten, oder ob die Chefredakteure zulassen, dass einzelne Journalisten ihre Abneigung gegen uns in öffentliche Polemik ummünzen dürfen.

 

BQ: Also nichts mit Christenverfolgung?

Schirrmacher: Natürlich ist es so, dass Verfolgung von religiösen, rassischen und anderen Gruppen immer mit der öffentlichen Verleumdung beginnt. Man unterstellt ihnen Dinge, die sie nie getan haben – und sorgt dafür, dass die öffentliche Meinung sie ablehnt. Was Krüger hier macht, ist klar die Diskriminierung einer gesellschaftlichen Minderheit und das nicht im Einzelfall wegen dem, was sie tun, sondern wegen dem, was sie sind und glauben, ja dass sie überhaupt existieren – zumindest steht das so in dem empfohlenen Artikel.

Krüger und „Q-rage“ spielen damit, den Evangelikalen alles anzuhängen, was in unserer Gesellschaft – zu Recht – automatisch verworfen wird: Rassismus, Demokratiefeindlichkeit, Intoleranz und schließlich gewalttätige Unruhen – angeblich machten 20.000 Christival-Teilnehmer „Bremen unsicher“, obwohl dies der anarchische Block der Gegner war. Irgendetwas wird schon klebenbleiben. So bereitet man Minderheiten auf die völlige Ausgrenzung vor.

Aber noch haben wir ja in Deutschland alle Freiheiten und Rechte, uns zu wehren, und haben nicht nur viele Freunde in allen Bereichen der Gesellschaft, sondern auch eine überwältigende Zahl derer, die solche Verleumdungen ablehnen, selbst wenn sie persönlich anders als wir denken.

 

BQ: Zum Beispiel?

Schirrmacher: Ich fand es vorbildlich, dass der EKD-Ratsvorsitzende Huber sich vor das Christival gestellt hat und dort das Abendmahl feierte, obwohl er erklärtermaßen in der Frage der Homosexualität etwas anders denkt. Er hat begriffen, dass der Umgang mit den Evangelikalen heute der Umgang mit allen Christen und Religionen morgen sein kann und wird. Und da kann ich nur allen raten: Wehret den Anfängen! Morgen könnt ihr die Opfer sein.

BQ: Gibt es dafür Belege?

Schirrmacher: Ja, nehmen Sie doch den umstrittenen Artikel. Darin heißt es „Der Mensch hat ein Bedürfnis nach einfachen Antworten. Die Religionen geben sie.“ Hier wird doch Atheismus gepredigt und das mit Steuergeldern und von der Bundeszentrale für politische Bildung.

Im übrigen ist die Aussage natürlich lächerlich. Erstens, weil sie so klingt, als wenn nur Religionen einfache Antworten gäben, nicht aber wahlkämpfende Politiker, die Werbung oder eben „Q-rage“. Und zweitens kann ich das Christentum wahrlich nicht als ‚einfache Antwort‘ sehen. Es ist doch schon reichlich kompliziert und differenziert, was man da glauben muss und dauert Wochen und Monate, bis jemand nur die Grundlagen beschreiben kann.

 

BQ: Aber ist es nicht doch ein Problem, dass Evangelikale Homosexualität für Sünde halten?

Schirrmacher: Also erstens sind wir nicht die Einzigen, die das so sehen. Nur die katholische Kirche hat Krüger natürlich bewusst nicht erwähnt. Man sucht sich immer den schwächsten Gegner aus, wenn man gewinnen will. Unsere Sicht ist die der katholischen Kirche, der orthodoxen und altorientalischen Kirchen, der großen Mehrheit der weltweiten Christenheit – ja auch der protestantischen Kirchen außerhalb der westlichen Welt.

Aber davon einmal abgesehen: Ich halte Ehebruch, Habgier und Steuerhinterziehung in guter biblischer und christlicher Tradition für Sünde. Verletzte ich deswegen die Freiheitsrechte aller Ehebrecher, Spekulanten und Steuerhinterzieher? Und bauen deswegen alle Ehebrecher, Spekulanten und Steuerhinterzieher ihre eigene Lobby auf, um uns zu bekämpfen? Nein, sie ignorieren einfach, was wir seelsorgerlich Menschen sagen. Sie wissen, dass wir unsere Sicht nur sagen, aber keine Gewalt anwenden, keinen Staat im Staat bilden, sondern friedlich in einem Land leben, dass in seinen Gesetzen vieles anders regelt, als wir es für richtig halten.

Doch halten wir praktizierte Homosexualität für Sünde, gilt diese religiöse und kirchliche Sicht plötzlich als Verbrechen. Und die Betroffenen organisieren sich und überziehen uns mit Verleumdungen, als hätten Evangelikale je einem Homosexuellen Gewalt angetan.

 

BQ: Aber sie sprechen doch von „Sünde“!

Schirrmacher: Wenn es uns als Christen nicht mehr freisteht, zu verkündigen, was wir für falsch halten, dann sollen bitte alle anderen auch genau kontrolliert werden, die etwas für falsch halten. Zur Meinungsfreiheit gehört doch aber gerade auch das Recht, Dinge für falsch zu halten und das zu sagen. Hören sie sich doch einmal an, was sich die Parteien in Deutschland gegenseitig um die Ohren hauen! Christen nennen das Falsche halt ‚Sünde‘, andere sprechen von „Ungerechtigkeit“, „unhaltbaren Zuständen“ oder was weiß ich. Dann soll bitte niemand mehr irgendjemand ein schlechtes Gewissen machen.

Wenn ich meine Zeitung aufschlage, besteht ein ganz großer Teil der Meldungen daraus, wer wem Vorwürfe und ein schlechtes Gewissen macht. Sehr selten ist das mal eine christliche Stimme. Wenn ich mir diese Gewissensbisse alle machen würde, könnte ich nicht mehr ruhig leben.

 

BQ: Aber sollten die Evangelikalen die homosexuelle Minderheit nicht besser behandeln?

Schirrmacher: Besser behandeln? Sie tun ja so, als hätte jemals ein Evangelikaler einen Homosexuellen verprügelt! Wo sind denn die Belege dafür? Wir behandeln alle Menschen mit der Würde, die ihnen als Geschöpf Gottes zusteht, leben friedlich mit ihnen zusammen und überlassen das Gewaltmonopol dem Staat.

Im übrigen steht doch hier die Sache Kopf. Denn die Evangelikalen stellen nicht nur zahlenmäßig eine Minderheit in Deutschland dar, sondern sie haben auch keinen Zugriff auf politische oder wirtschaftliche Macht, wie es etwa Thomas Krüger hat. Und die angebliche homosexuelle Minderheit ist dagegen längst an den Schalthebeln der Macht angekommen und übt massivst Druck auf Andersdenkende aus. Sie wird auf allen politischen Ebenen mit gewaltigen Beträgen aus dem Steueraufkommen unterstützt, die Evangelikalen finanzieren sich fast völlig aus eigenen Spenden. Eine Minderheit definiert sich nicht einfach darüber, dass sie weniger als die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, sondern ob sie Macht hat oder der Macht anderer ausgeliefert oder auf den Schutz anderer angewiesen ist.

 

BQ: Herzlichen Dank für das Interview!

 

Downloads:

  • Initiates file downloadFoto Thomas Schirrmacher

Hinweis (16.12.2008):

  • Die aktuelle Ausgabe von „Q-rage“ ist nicht mehr im Internet verfügbar

Dokumente

BQ0082_01.pdf