Bonner Querschnitte 34/2012 Ausgabe 228

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Kein politischer Wille zur vollständigen Aufklärung der Malatya-Morde?

(Bonn, 16.11.2012) Einer der im Malatya-Prozess führend tätigen Anwälte, der Menschrechtsaktivist und Autor Orhan Kemal Cengiz, wies in einem Interview mit der Tageszeitung Taraf vom 12.11.2012 darauf hin, dass in der Türkei der politische Wille zu einer wirklich tiefen Aufdeckung der Hintergründe der Christenmorde und anderer Verbrechen fehle. Cengiz: „Die Regierung hat keine Menschenrechtsperspektive, keine Perspektive von Abrechnung mit der Vergangenheit und Reinigung von den Sünden der Vergangenheit. Die politische Führung will lediglich die gegen sie selbst gerichteten Putschversuche aufdecken, die Putschisten kleinkriegen und sie als abschreckendes Beispiel bestrafen.“

Dieser fehlende Wille zur tief gehenden Aufklärung sei laut Cengiz dafür mitverantwortlich, dass in der neuen Anklageschrift des Malatya-Prozesses nun zwar die Rolle der Militärpolizei, der Gendarmerie, untersucht werde, auf die Rolle der Polizei und des türkischen Geheimdienstes MIT aber überhaupt nicht eingegangen würde. Cengiz: „Dabei wissen wir, dass MIT, Polizei und JITEM [der Geheimdienst der Gendarmerie, d. Übers] alle die Missionare in Malatya überwacht haben.“ Auch sei die Staatsanwaltschaft nicht auf die Herkunft der Gelder eingegangen, die die Gendarmerie gegen die missionarischen Aktivitäten eingesetzt habe. Cengiz: „Die Gendarmerie in Malatya hat Hunderte von Milliarden Lira [vor der Währungsumstellung, heute wären das Hunderttausende, d. Übers.] Geld ausgegeben, um die missionarischen Aktivitäten zu überwachen.“

Beim 47. Verhandlungstag am Montag dieser Woche in der osttürkischen Provinzhauptstadt Malatya wurde erstmals der als vermutlicher Drahtzieher der Morde mitangeklagte pensionierte Vier-Sterne-General Hursit Tolon vor Gericht vernommen. Er wies alle Beschuldigungen zurück. Tolon war durch die Aussagen eines ehemaligen Agenten der militärischen Gendarmerie, Ilker Cinar, beschuldigt worden, die Morde an zwei türkischen und einem deutschen Christen am 18. April 2007 mitgeplant zu haben. Seit November 2007 stehen fünf junge Männer vor Gericht, die unmittelbar am Tatort verhaftet worden waren.

Der Prozess wird vorerst bis zum Freitag, dem 16. November fortgeführt.

Dokumente

BQ0228.pdf