Bonner Querschnitte 38/2009 Ausgabe 122

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Calvin und die Freikirchen

Vortrag in der Freien Evangelischen Gemeinde Bonn

(Bonn, 23.12.2009) Im Calvin-Jubiläumsjahr hat der Rektor des Martin Bucer Seminars, Thomas Schirrmacher, die deutschen Freikirchen aufgefordert, nicht länger auf die ‚schwarzen Legenden‘ Calvins zu hören, sondern sich damit zu beschäftigen, wie groß der Einfluss des reformierten Denkens auf ihre Gründerväter war. In einem Vortrag in der Freien Evangelischen Gemeinde Bonn zum Thema „Calvin und die Freikirchen“ schilderte Schirrmacher die ökumenische Bedeutung Calvins.

Weil Calvin als einziger großer Reformator bei Einsetzen der Gegenreformation noch gelebt habe, sei Calvin zum Zentrum der wohl größten Verleumdungskampagne der Kirchengeschichte geworden. Es gebe kaum eine moralische Verfehlung, die ihm nicht angehängt worden sei und die meisten Menschen kennten bis heute über Calvin nur einige ‚schreckliche‘ Versatzstücke seiner Theologie, die noch nicht einmal der Beschäftigung wert seien. Diese Verleumdungen seien erst in jüngster Zeit vor allem von katholischen, französischen Historikern aufgedeckt und widerlegt worden.

„Die Grundwahrheiten der reformierten Lehre dürfen nicht in offiziell reformierten Kirchen weggeschlossen werden. Insbesondere taufgesinnte Freikirchen müssen sich daran erinnern, wie stark ihr reformiertes Erbe ursprünglich war“, so Schirrmacher. Dabei gehe es ihm nicht um konfessionelle Streitigkeiten, zumal ja etliche Freikirchen sich dazu lediglich mit der Theologie ihrer Gründer beschäftigen müssten. „Es ist unser Wunsch, dass die Lehre vom Vorrang der Gnade Gottes, die Lehre von Gottes absoluter Souveränität, die sich aber im Eid verbindlich für uns festlegt, die Lehre von der Bedeutung der Gebote für die Ethik und die Wichtigkeit des Einsatzes für Evangelisation, Diakonie und gesellschaftliche Veränderung – um einmal reformierte Grundwahrheiten zu skizzieren – ganz neu in unseren Gemeinde Einzug hält“, so Schirrmacher wörtlich.

Das Martin Bucer Seminar hat zum Calvin-Jubiläum eine deutsche Neuausgabe der ersten Auflage der ‚Institutio‘, der Hauptschrift Calvins, unter dem Titel ‚Christliche Glaubenslehre‘ veröffentlicht. Soeben erschien zudem ein englischsprachiger Sammelband ‚Calvin and World Mission‘ mit Aufsätzen aus 120 Jahren, die belegen, das Calvin für Weltmission eintrat und erste Missionare aussandte.

Zudem hat das Martin Bucer Seminar das erste baptistische Bekenntnis Onckens veröffentlicht und wird in Kürze weitere freikirchliche Bekenntnisse aus Geschichte (Grafe) und Gegenwart (Wegert) vorlegen.

Zur Information: Deutsche Freikirchengründer

Der reformierte Einfluss auf deutsche Freikirchengründer zeigt sich am deutlichsten bei den beiden bedeutendsten deutschen Freikirchengründern Oncken (heute: Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden) und Grafe (heute Bund Freier evangelischer Gemeinden).

Johann Gerhard Oncken (1800-1884) ist der Vater des deutschen Baptismus. Sein Oncken-Verlag verbreitete jahrzehntelang reformierte Literatur, namentlich ungezählte Werke des reformiert-baptistischen Erweckungspredigers Charles Haddon Spurgeon (1834-1892), dessen Werke bis heute aus freikirchlichen Verlagen in Deutschland nicht wegzudenken sind. Oncken hatte einige Jahre in Schottland verbracht und dort enge Kontakte zu dem reformierten Prediger Robert Haldane und zur kongregationalistischen Erweckungsbewegung geknüpft. „Die starken calvinistischen Einflüsse, die er dort aufnahm, beeinflussten später Theologie und Praxis der deutschen Baptisten“ (ELThG I, 175). Er verlegte etliche Bücher Haldanes in deutscher Sprache. Seit 1823 gehörte Oncken zur englisch-reformierten Gemeinde in Hamburg, aus der heraus er nach seiner Taufe 1834 die erste Baptistengemeinde gründete.

Hermann Heinrich Grafe (1818-1869), der Gründer der Freien evangelischen Gemeinden, gründete 1854 im reformierten Wuppertal eine Freikirche, die besonders in den Mittelpunkt stellte, dass der Mensch allein aus Gnade errettet wird und Menschen nicht das Recht haben, Gotteskindern aufgrund von Äußerlichkeiten die Gemeindemitgliedschaft abzusprechen. Auch die reformierte Gemeindezucht sollte endlich besser als in der reformierten Landeskirche verwirklicht werden. Grafe wurde nicht zuletzt von dem französischen Theologen Adolphe Monod beeinflusst, dessen L'Église évangélique de Lyon Grafe bei einem geschäftlichen Besuch in Lyon kennengelernt hatte.

Die reformierte Grundhaltung wird auch bei der zweiten prägenden Gründergestalt der Freien evangelischen Gemeinden deutlich, Friedrich Heinrich Neviandt (1827-1901). Sein Vater Carl Wilhelm Neviandt (1792-1870) war Mitbegründer der unten genannten Evangelischen Gesellschaft für Deutschland, sein Schwager war Grafe, auf dessen Betreiben hin er der erste Pastor der Gemeinde in Elberfeld wurde. 1874 bis 1898 war er der erste Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland.

Auch außerhalb von Deutschland waren Freikirchengründer maßgeblich von reformiertem Gedankengut beeinflusst, wie Frédéric Godet (1812-1900), Jean-Henrí Merle d’ Aubigné (1794-1872) und Louis Gaussen (1790-1863) in der französischsprachigen Schweiz. Sie wurden von dem schottische Erweckungsprediger und Mitbegründer der dortigen kongregationalistischen Kirche, Robert Haldane angeregt und unterstützt, der 1816-1819 auf dem Festland, vor allem in der Schweiz und in Frankreich, unterwegs war und 1817 die reformierte Erweckung in Genf („Genfer Réveil“) auslöste. Frédéric Godet war Professor für Neues Testament in Neuchâtel und 1873 Mitgründer der Eglise évangélique Indépendante in Neuchâtel. Louis Gaussen war Professor für Dogmatik und Autor des einflussreichen Werkes „Theopneustie“ (1840/42).

Adolphe Monod und vor allem Frédéric Monod sind Begründer der Freien Gemeinden in Frankreich. Adolphe Monod (1802-1856) war Professor für praktische Theologie, seine Gemeinde in Lyon wurde Vorbild für Grafes Gemeinde in Elberfeld. So liegen denn die Ursprünge der Freien evangelischen Gemeinden in Deutschland in reformierten Erweckungen und Freikirchengründungen in der Westschweiz, Frankreich und Peimont in Süditalien, die sich 1834 mit 45 Gemeinden zusammenschlossen.

 

Zur Literatur sei auf Beiträge im Evangelischen Lexikon für Theologie und Gemeinde und im Biographisch-bibliographischen Kirchenlexikon verwiesen:

 

 

Links:

 

Downloads:

  • „Zur ökumenischen Bedeutung von Johannes Calvin“. Artikel von Thomas Schirrmacher in der Zeitschrift Evangelikale Theologie 15/1 (2009) (als Initiates file downloadInitiates file downloadpdf)
  • Glaubensbekenntnis der ev.-taufgesinnten Gemeinde in Hamburg. mit einer Einführung zum reformierten Einfluss auf Gründer deutscher Freikirchen. MBS-Texte 51 (als Initiates file downloadpdf)

Dokumente

BQ0122_01.pdf