Bonner Querschnitte 42/2018 Ausgabe 559
ZurückExperten: Ethnische MinÂderheiten sind vielÂfältigen BedroÂhungen ausgesetzt
Expertenanhörung im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages
(Bonn, 05.12.2018) âVerdrängte Ethnien â bedrohte Völkerâ lautet der Titel einer Anhörung des Menschenrechtsausschusses unter Vorsitz von Gyde Jensen (FDP), in der am Mittwoch, 28. November 2018, Wissenschaftler und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen Fragen der Abgeordneten beantworteten. Neben der ethnischen und religiösen Dimension des Problems und der Vielzahl an Verfolgungen von Minderheiten auf der Welt, ging es in der Veranstaltung auch um die Frage, wie Demokratien mit zunehmenden âIdeologien der Ungleichheitâ und âkulturellen SchlieÃungstendenzenâ umgehen können.
Prof. Dr. Dr. h. c. Heiner Bielefeldt (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) warnte davor, das Thema verfolgter oder verdrängter Gruppen insofern zu verkürzen, dass Menschenrechte nur Minderheiten betreffen würden. Die Frage des Umgangs mit Minderheiten sei immer auch eine Testfrage, wie es um eine Gesellschaft insgesamt bestellt sei. Die Mehrheit habe die Aufgabe, den öffentlichen Raum offen zu halten, Institutionen zu stützen, die einen âidentitätspolitischen Kollapsâ verhindern, und Minderheiten angstfreie Teilhabe zu ermöglichen.
âStärker auf die Interessen Indigener eingehenâ
Ulrich Delius (Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.) machte darauf aufmerksam, dass es zwar auch, aber eben nicht nur um Verfolgung von ethnischen oder religiösen Minderheiten durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure gehe. So seien weltweit rund 450 Millionen Angehörige indigener Völker auch durch wirtschaftliche, geografische, klimatische Faktoren bedroht und durch gesellschaftlichen Wandel, Generations- und Rollenkonflikte herausgefordert. Delius warb dafür, die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu ratifizieren: Dies könnte ein wichtiges Zeichen an deutsche Unternehmen im Ausland sein, stärker auf die Interessen Indigener einzugehen.
Schwester Hatune Dogan (Hatune Foundation, Warburg) schilderte aus eigenem Erleben die Zurücksetzungen und Diskriminierung ihrer Familie als aramäische Christen in der Türkei. Es sei ihnen verboten worden, ihre Religion auszuüben, ihre Sprache zu sprechen. Lehrer hätten aramäische Kinder mit Schlägen traktiert und sie zu âSoldaten des türkischen Staatesâ erklärt. Dogan erinnerte daran, dass Christen vor Jahrhunderten im Nahen Osten die Mehrheit gestellt hätten und heute allenfalls noch wenige Prozent der Bevölkerung, âund die werden auch nicht in Ruhe gelassenâ.
âIdeologien der Ungleichheitâ
Prof. Dr. Gudrun Hentges (Universität zu Köln) machte auf die Vielgestaltigkeit der âIdeologien der Ungleichheitâ von religiösem Fundamentalismus über Rassismus bis hin zum Antisemitismus aufmerksam. Solche Formen âgruppen-bezogener Menschenfeindlichkeitâ â ein Begriff des Erziehungswissenschaftlers Wilhelm Heitmeyer â nähmen mit der Konjunktur rechter und extrem rechter Parteien auch in Europa zu. So komme die jüngst vorgestellte Studie âFlucht ins Autoritäreâ zu dem Befund, dass die âgeschlossene manifeste Ausländerfeindlichkeitâ in Deutschland gestiegen sei, sagte Hentges.
Prof. Dr. Mouhanad Khorchide (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) warb für einen differenzierenden Blick: Während der ägyptische Mufti die Pflicht von Muslimen hervorhebe, Christen den Bau von Kirchen zu ermöglichen, gebe es andere islamische Geistliche, die zur Zerstörung christlicher Kirchen auf der arabischen Halbinsel aufrufen. Die Frage sei, wie man aus Deutschland heraus jene Kräfte unterstützen könne, die sich für die Menschenrechte einsetzen.
âKulturelle SchlieÃungstendenzenâ
Prof. Dr. Michael Reder (Hochschule für Philosophie München) sprach mit Bezug auf den Philosophen Jürgen Habermas von âkulturellen SchlieÃungstendenzenâ, in denen die Sehnsucht nach Homogenität und Festigkeit zum Ausdruck kämen. In der globalisierten und pluralistischen Gegenwart könne man zu solchen Konzepten aber nicht mehr zurück. Demokratie sei nicht nur eine Frage der Verfassung und der Regierungsform, sondern auch der Haltung der Bürgerinnen und Bürger. âDazu gehört Bildung existenziell dazu, Bildung über globalisierte Zusammenhänge.â
Prof. Dr. Dr. Thomas Schirrmacher (Internationales Institut für Religionsfreiheit) argumentierte, dass die Demokratie am Ende nicht am âbanalen Vollzug einer Mehrheitswahlâ gemessen werde, sondern daran, ob sie die Rechte von Minderheiten garantiere. Es sei wieder und wieder schockierend, welche ungeheure Energie und Zeit Staaten, Gruppen oder Parteien weltweit darauf verwendeten, dafür zu sorgen, dass es anderen nicht gut gehe und âMinderheiten madig zu machenâ.
Liste der geladenen Sachverständigen:
- Prof. Dr. Dr. h.c. Heiner Bielefeldt, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Politische Wissenschaft, Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik
- Ulrich Delius, Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.,
- Schwester Hatune Dogan, Hatune Foundation, Warburg
- Prof. Dr. Gudrun Hentges, Universität zu Köln, Humanwissenschaftliche Fakultät
- Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Zentrum für Islamische Theologie
- Prof. Dr. Michael Reder, Hochschule für Philosophie München, Lehrstuhl für Praktische Philosophie mit dem Schwerpunkt Völkerverständigung
- Prof. Dr. Dr. Thomas Schirrmacher, Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit
Downloads und Links:
Foto 1: Thomas Schirrmacher bleibt weniger als eine Minute Redezeit als von der CDU berufener Gutachter/Experte bei der Anhörung âBedrängte Ethnienâ des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag. Links neben ihm im Kreis die anderen sechs Experten, die die Parteien nominierten, zwei Plätze weiter links Prof. Khorchide, ebenfalls von der CDU nominiert. Hinter ihm sitzen die MdBs der AfD und der FDP, rechts im Bild die MdBs der CDU sowie ganz rechts der Beauftragte der Bundesregierung für internationale Religionsfreiheit, Markus Grübel, MdB © BQ/Warnecke
Foto 2: Diskussion mit den Abgeordneten der AfD © BQ/Warnecke
Foto 3: Nachfrage seitens der FDP © BQ/Warnecke
Foto 4: Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Prof. Dr. Michael Reder und Prof. Dr. Dr. Thomas Schirrmacher © BQ/Warnecke
Foto 5: Prof. Thomas Schirrmacher im Gespräch mit Prof. Michael Brandt, MdB © BQ/Warnecke
- Diese Meldung sowie die dazugehörige Videoaufnahme der Anhörung auf der Internetseite des Deutschen Bundestages:
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2018/kw48-pa-menschenrechte/578910
