Bonner Querschnitte 45/2015 Ausgabe 381
ZurückChristine und Thomas Schirrmacher fordern stärkere Präventionsanstrengungen vor dem Hintergrund wachsender religiöser Radikalisierung in der Welt
60. Gesamtkonferenz der katholischen Militärgeistlichen zum Thema âGewalt in den Religionenâ
(Berlin, 24.10.2015) Unter dem Titel âGewalt in den Religionenâ fand die diesjährige Gesamtkonferenz der katholischen Militärgeistlichen und Pastoralreferenten vom 19. bis 22. Oktober 2015 in Berlin-Steglitz statt. Als Experten für Islam und Islamismus sowie Menschenrechte und Religionsfreiheit referierten Prof. Dr. Christine Schirrmacher und Prof. Dr. Thomas Schirrmacher vor den etwa 100 Vertretern aus Staat, Streitkräften, Kirchen und Laienorganisationen aus dem In- und Ausland.
Angesichts der Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, die sich bis nach Europa auswirken, widmete sich Christine Schirrmacher, Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Bonn, der Frage nach der Anziehungskraft des âIslamischen Staates (IS)â. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Stagnation, koloniale Dominanz durch europäische Mächte sowie nicht vorhandene politische und wirtschaftliche Teilhabe unter den autokratischen Herrschern seit der Dekolonialisierung hätten den Nährboden für religiösen Extremismus in Teilen der islamischen Welt bereitet. âIn einem Zustand von Identitätskrise und Chancenlosigkeitâ, so Schirrmacher, âversprechen die Forderungen des Islamismus sowie der noch immer für viele Muslime attraktive Kalifatsgedanke eine utopisch heile Weltâ.
Daran anknüpfend betonte Thomas Schirrmacher, Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit und Präsident der International Society of Human Rights, dass neben dem islamischen Fundamentalismus besonders das Phänomen des religiösen Nationalismus ein friedliches Zusammenleben der Religionen weltweit bedrohe. Im Zuge wachsender gesellschaftlicher Heterogenität begännen manche Staaten, ihre nationale Identität über die Mehrheitsreligion zu definieren.
Als Beispiel führte Schirrmacher Indien an, dessen Ministerpräsident offen die Ansicht vertritt, dass nur ein Hindu wahrer Inder sein könne. Eine Haltung, die Christen und Muslime im Lande zunehmend beunruhigt. Daneben nannte Schirrmacher Sri Lanka, das von radikalen Buddhisten regiert wird, die die Insel als Buddhas exklusiven heiligen Boden beanspruchen.
âSowohl der Staat durch sein Gewaltmonopol als auch die Kirchen durch ihre Theologie müssen aktiv zur Gewaltprävention beitragenâ, so der Religionssoziologe. Nachdem es in der Geschichte des Christentums Kreuzzüge, Religionskriege und bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein verschiedene Formen eines teils radikalen Fundamentalismus gegeben habe, so hätten die christlichen Kirchen in den vergangenen Jahrzehnten einen friedlicheren und toleranteren Weg eingeschlagen. Zwar gäbe es auch heute Fälle, in denen Nicht-Christen durch Christen bedrängt oder gar verfolgt würden, doch im Unterschied zu den anderen Weltreligionen verfüge das Christentum über keine zu Hass und Gewalt aufrufenden Theologen, auf die sich gewaltbereite Christen berufen könnten.
Für den Islam attestierte Christine Schirrmacher, dass es noch immer einflussreiche theologische Denkschulen gäbe, die den Einsatz von Gewalt als legitimes Mittel betrachten, etwa im Umgang mit Frauen, Apostaten, âGötzendienernâ und anderen Gruppen. Die Hoffnungen auf einen diesbezüglichen Wandel lägen auf den Vertretern eines freiheitlichen Islamverständnisses, welches mit den universellen Menschenrechten sowie den Werten und Normen des Grundgesetzes durchaus kompatibel sein kann. Dazu gehöre jedoch die Bereitschaft, Abstriche an der immerwährenden Vorbildhaftigkeit Muhammads und der Scharia zu machen sowie Koranverse im historischen Kontext zu betrachten. Die abschlieÃende Frage, ob der Islam mit Demokratie, Menschen- und Freiheitsrechten kompatibel sei, beantwortete die Bonner Islamwissenschaftlerin wie folgt: âJa, wenn der Islam als Religion und nur als Religion gelebt wird â nein, wenn der Islam als politisches Programm dient.â
(Martin Warnecke)
Downloads:
· Foto 1: Thomas Schirrmacher, Christine Schirrmacher und Lothar Bendel (Leitender Wissenschaftlicher Direktor im Kirchendienst) (v. l. n. r.) in der Diskussionrunde zum Aspekt Fundamentalismus in den Weltreligionen.
· Foto 2: Christine Schirrmacher während ihres Vortrags zum Thema âDer Islam und der ,Islamische Staat (IS)': Ursachen der Radikalisierung.â
· Foto 3: Thomas Schirrmacher im Austausch mit Dr. Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen und katholischer Militärbischof
· Foto 4: Während der Veranstaltung
