Bonner Querschnitte 7/2005 Ausgabe 7

Zurück

Tsunami: Langfristige Wiederaufbauarbeit notwendig

Nach Soforthilfemaßnahmen müssen Flutopfer wirtschaftlich selbständig werden

B o n n / C o l o m b o (22. April 2005) – Nachdem kurz nach der Flutkatastrophe eine enorme Hilfsbereitschaft weltweit zu verzeichnen war, dürfe der langfristige Wiederaufbau und vor allem die Hilfe zur wirtschaftlichen Selbständigkeit der Tsunamiopfer nicht aus dem Blickfeld geraten. Das fordert das international tätige Hilfswerk „Gebende Hände“ (Bonn).

„Gebende Hände“ hat es sich vor allem zur Aufgabe gemacht, dort zu helfen, wo noch keine Hilfsorganisation und auch keine Regierung hilft. Mit der Unterstützung von Angehörigen der Marine Sri Lankas arbeitet die Hilfsorganisation nun in der Gegend um Tangalla und Hambantota (etwa 200 km südlich von Colombo). Die überlebenden Familien der Region – vor der Flut waren es 143, nach der Flut noch 23 – protestierten bereits bei den zuständige Behörden, weil sie von jeglicher Hilfeleistung abgeschnitten waren, ohne jedoch Antwort zu erhalten.


In den nächsten Wochen laufe die nächste Unterstützungsphase an, bei der nach Möglichkeiten für einen dauerhaften Verdienst und wirtschaftliche Selbständigkeit der Betroffenen gesucht werde. „Außerdem müssen wir etwas für die vielen Waisenkinder tun, um ihnen den Verlust ihrer Familie und Eltern so erträglich wie möglich zu machen und daß sie eine Zukunft haben können.“ Die lokalen Behörden gehen von etwa 12.000 Waisen durch die Flutkatastrophe aus.

Durch die Hilfe von „Gebende Hände“ wurden die Menschen zunächst mit Lebensmitteln und Zelten versorgt. In einer zweiten Hilfsphase, die seit Anfang März läuft, werden die Bewohner beim Wiederaufbau ihrer Häuser und dem Neustart ihrer vom Tsunami zerstörten Geschäfte, insbesondere kleine Fischereibetriebe, unterstützt. Dazu wurden mehrere hundert Fischernetze und andere Fischereiausrüstungsgegenstände sowie Ziegelsteinmaschinen und Zement zur Verfügung gestellt. Diese Hilfsgüter sind ausschließlich in Sri Lanka beschafft worden. Wie der Projektmanager der Hilfsorganisation, Thomas Josiger, betont, sei es vor allem in Sri Lanka oftmals schwierig, Hilfsgüter in das Land zu bringen, weil sich Behörden weigerten, die Container abzufertigen oder weil es andere bürokratische Hemmnisse gebe. „Dann unterstützen wir mit dem Kauf vor Ort auch den lokalen Handel und die einheimische Wirtschaft“, so Josiger.


Reportage


„Helft uns, unsere Häuser wieder aufzubauen!“

Mitarbeiter von „Gebende Hände“ arbeiten seit Ende Dezember in Sri Lanka, um den Opfern des Tsunami, der am 26. Dezember vergangenes Jahres wütete, zu helfen. In einer ersten Phase im Januar wurden die Menschen mit Lebensmittel und Wasser versorgt. Und nun ist eine weitere Phase angelaufen, in der ihnen das Material an die Hand gegeben wurde, um ihre Häuser wiederaufzubauen und ein wenig Geld zu verdienen. Dies ist im März geschehen und von diesem Hilfseinsatz berichtet Monte Wilson, Mitarbeiter und Mitglied des Kuratoriums von „Gebende Hände“.

„Genug jetzt! Helft uns, unsere Häuser wieder aufzubauen!“ Mit diesen Worten warfen einige Männer – zumeist Fischer – ihre Zelte ins Meer. Sie haben genug vom Abwarten und wollen nun endlich wieder auf eigenen wirtschaftlichen Beinen stehen. Dabei hatten sie noch überhaupt keine Hilfe für Flutopfer gesehen. Und der Tsunami ist schon vor drei Monaten gewesen, angesichts der vielen Spendenmillionen fast nicht verständlich. Und doch gibt es genug Dörfer oder ganze Regionen, die völlig auf sich allein gestellt sind.

So auch die vergessenen Familien aus Tangalla und Hambantota (etwa 200 km südlich von Colombo). Sie hatten erst kürzlich bei den Behörden auf ihre aussichtslose Lage aufmerksam gemacht. Sie zogen mit Plakaten und Bannern zur örtlichen Verwaltung. „Wir haben noch keinen Cent irgendeiner Hilfe gesehen!“, beschwerten sie sich. Von den Verantwortlichen bekamen sie keine Antwort.

Hilfe durch einen Marinekommandanten

Wir sind auf sie durch die Hilfe des Marinekommandanten Jagath Mutubandara, der unmittelbar nach der Flutkatastrophe für Such- und Rettungsaufgaben und den Aufbau von Notlagern zuständig war, aufmerksam geworden. Als wir ihm unser Anliegen schilderten, dort helfen zu wollen, wo noch nie jemand war, meinte er: „Diese Dörfer sind genau das, was Sie suchen.“

Zunächst kauften wir in Colombo, der Hauptstadt Sri Lankas, Hilfsgüter wie Fischereiausrüstungen (Netze, Schwimmer, Seile usw.), Laternen, Ziegelsteinmaschinen und Zement ein. Wir haben uns für den Kauf vor Ort entschieden, weil zum einen das Material dort erhältlich ist und es zum anderen teilweise sehr schwierig ist, Hilfsgüter in das Land zu bringen. Sogar die Presse in Sri Lanka berichtet von diesen Mißständen, so daß der Daily Mirror vom 9. März von 250 Containern mit dringend benötigten Hilfsgütern berichtete, die immer noch in Lagerhäusern schmoren und von den Behörden durch Steuerforderungen und erschwerenden Einfuhrbestimmungen von der Verteilung aufgehalten werden.

Überall Schutt und Verwüstung

Auf dem Weg nach Hambantota zeigte sich uns eine schreckliches Bild nach dem anderen: Dorf um Dorf ist zerstört und nichts weiter als Schutt. Vollbesetzte Busse wurden in tiefe, schlammige Seen geschleudert, sodaß kein einziger gerettet werden konnte. Ein Eisenbahnzug, der mit 1.700 Menschen besetzt war, die vor der Flut fliehen wollten, wurde wie ein Spielzeug herumgewirbelt. Überall sieht es aus wie in einem Kriegsgebiet.

Die Bewohner und auch die örtliche Verwaltung von Hambantota und Tangalla halten nicht viel von den offiziellen Zahlen der Regierung. Wenn sie von 40.000 Todesopfern spricht, berichten örtliche Leiter uns von mindestens 100.000. Täglich werden im Schnitt etwa 35 Leichen entdeckt. Allein an einem Tag, den wir dort verbrachten wurden 85 gefunden, deren Identität wohl nie festgestellt werden kann. Die Regierung spricht von 4.000 Waisen, vor Ort aber von mindestens 12.000 Kindern, die keine Verwandten mehr haben.

Im Hambantota lebten vor der Flut 143 Familien, nun sind es noch 23.

Die Menschen wollen auf eigenen Beinen stehen

Die Aktion der Fischer, die ihre Zelte ins Meer warfen, machen auf ein Hauptproblem aufmerksam: Fast überallhin wurden und werden Zelte und Lebensmittel gebracht, doch über den Bau neuer Häuser und gar Existenzgründungen, damit die Bewohner der Katastrophenregion sich ihren Lebensunterhalt wieder selbst verdienen können.

Immer wieder dankten uns die Menschen für unsere Hilfe. Ein Fischer küßte uns sogar die Füße. Ähnliche Szenen spielten sich in Tangalla ab, einem weiteren Ort, den uns Marinekommandant Mutubandara gezeigt hatte. Hartgesottene Männer, die so leicht nichts umwirft, umarmten uns und bedankten sich.

Wie geht es weiter?

Doch wie geht es weiter? Unser Einsatz war ja nur ein Anfang. Vertrauenswürdige Menschen, die uns wirklich Bedürftige zeigten, fanden wir. In den nächsten Wochen werden wir einen weiteren Einsatz planen, in dem wir vor allem die Menschen dort unterstützen werden, sich wieder eigene Geschäfte aufzubauen, damit sie eines Tages wieder richtig normal leben können. Außerdem sind da ja noch die 12.000 Waisen. Wir suchen nun Möglichkeiten, ihnen, die einsam und ohne Hilfe sind, beizustehen.

Wenn wir zurückkehren, empfangen uns die Bewohner von Tangalla und Hambantota sicher wieder in ihren Häusern. Die weggeworfenen Zelte sind dann längst vergessen.

 

Downloads:

Dokumente

bq0007_01.pdf